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Berlin: 80 000 Autos pro Jahr verschwinden spurlos

Vielen Fahrern ist die umweltgerechte Verschrottung zu teuer - Altautoverordnung überfordert die BehördenThomas Loy Die Paragraphen greifen nicht, die Behörden haben vor dem Schrottproblem kapituliert: Trotz der neuen Altautoverordnung, die eine umweltgerechte Entsorgung von Fahrzeugen vorschreibt, verschwinden mehr als drei Viertel der jährlich 100 000 ausrangierten Autos in Berlin spurlos. Viele werden von dubiosen Händlern ausgeschlachtet und illegal "entsorgt", andere von "Mülltouristen" in die östlichen Nachbarländer gebracht.

Vielen Fahrern ist die umweltgerechte Verschrottung zu teuer - Altautoverordnung überfordert die BehördenThomas Loy

Die Paragraphen greifen nicht, die Behörden haben vor dem Schrottproblem kapituliert: Trotz der neuen Altautoverordnung, die eine umweltgerechte Entsorgung von Fahrzeugen vorschreibt, verschwinden mehr als drei Viertel der jährlich 100 000 ausrangierten Autos in Berlin spurlos. Viele werden von dubiosen Händlern ausgeschlachtet und illegal "entsorgt", andere von "Mülltouristen" in die östlichen Nachbarländer gebracht. Auch das Landeseinwohneramt geriet ins Zwielicht mit Versteigerungen von Autos, die einfach am Straßenrand oder im Wald abgestellt worden waren. Solche Autos werden oft ersteigert, von ihren neuen Besitzern ausgeschlachtet und noch einmal illegal "entsorgt". Auf Druck des Umweltamtes wurden die für Dezember geplante Versteigerung abgesagt.

Mahmut hat gerade eine alte Autokarosserie abgeliefert. Dafür gibt es 30 bis 40 Mark. Noch auf dem Schrottplatz am Osthafen nimmt er neue Aufträge entgegen: einen alten BMW mit kaputtem Getriebe? Na klar, dafür würde er sogar noch was zahlen. Fachgerechte Entsorgung? Er kenne da eine Werkstatt, kein Problem. Kurzer Austausch von Handynummern, dann ist Mahmut mit seinem klapprigen Pritschenwagen ohne Firmenlogo wieder verschwunden.

Das Geschäft mit Altautos blüht. Fahruntüchtige Vehikel oder Unfallwagen, für die sich keine Reparatur mehr lohnt, sind als billiges Ersatzteillager eine begehrte Ware. Was mit dem unbrauchbaren Rest wie abgefahrenen Reifen, Altöl oder zerschlissenen Sitzen geschieht, bleibt der (kriminellen) Fantasie des Händlers überlassen.

Die umweltgerechte Entsorgung von Alt-Autos kostet 150 bis 200 Mark. Viele Besitzer nutzen deshalb "alternative Angebote" wie das von Mahmut. Um den Sumpf illegaler Autoentsorgung trockenzulegen, erfand der Gesetzgeber vor anderthalb Jahren die Altautoverordnung. Die sei "ein Papiertiger", sagt Peter Ehren von der Umweltverwaltung. Die Besitzer spurlos verschwundener Autos gehen so vor: Sie melden ihre Fahrzeuge bei der Zulassungsstelle vorübergehend ab und lassen dann nichts mehr von sich hören. 80 000 solcher Vorgänge schleppt das Amt mit sich herum, ohne dass etwas passiert. "Das sind Ordnungswidrigkeiten. Dafür ist die Senatsverwaltung für Umwelt zuständig", sagt Rainer Kotecki von der Zulassungsstelle. Die Umweltverwaltung verweigert jedoch die Annahme mit dem Hinweis, schon mit der Überprüfung korrekt abgemeldeter Autos überfordert zu sein.

Recyclingfirmen nicht ausgelastet

Nach der Theorie der Altautoverordnung muss für jedes abgemeldete Auto ein Verwertungsnachweis beigebracht werden. Dieses Papier darf nur von zertifizierten Betrieben ausgestellt werden, die scharfe Umweltauflagen erfüllen und den Verbleib aller Einzelteile nachweisen müssen. Doch die 15 in Berlin zugelassenen Verwerter erhalten nur einen Bruchteil der tatsächlich stillgelegten Autos. Das Recyclingunternehmen Alba, schon seit 1993 mit einer modernen Anlage auf dem Markt, hat nur 50 Prozent seiner Kapazität ausgelastet. Andreas Schmidke, Platzmeister bei der "Autopresse Tempelhof", klagt sogar über einen Rückgang der Aufträge seit Einführung der Verordnung. "Was irgendwie noch rollt, wird über die Grenze nach Polen oder Tschechien geschafft." Das ist nicht verboten, in den Augen der Betroffenen aber "Mülltourismus".

Ins Zwielicht geraten ist auch die Praxis des Landeseinwohneramtes (Lea), illegal abgestellte Altautos sicherzustellen und nach einer Einspruchsfrist von maximal einem halben Jahr meistbietend zu versteigern. Jedes Jahr kommen so etwa 3000 Autos unter den Hammer. Die Umweltverwaltung sieht diese sogenannten "Rote-Punkt-Autos" - Durchschnittsalter: 15 Jahre - als Abfall an, der gemäß der Altautoverordnung zu entsorgen ist. Das Lea hingegen verkauft sie als normale Ware - was danach mit den Autos geschieht, kümmert die Beamten nicht mehr. Die meisten gehen nach Einschätzung von Beobachtern außer Landes, andere finden sich - nach sorgfältiger Ausschlachtung verwertbarer Teile - wieder auf der Straße oder im Wald, und der Kreis schließt sich auf Kosten des Steuerzahlers.

Bußgelder werden nicht eingetrieben

Zwar werden jedes Jahr Bußgelder in Millionenhöhe erhoben, eintreiben kann die Behörde die Geldstrafen zwischen 2000 und 4000 Mark aber nur in etwa der Hälfte der Fälle. Probleme gibt es auch mit den Lagerflächen, wo die Autos bis zur Versteigerung von ihren Besitzern eingelöst werden können. Auch bei aufwendiger Bewachung können Diebstähle und Beschädigungen nicht verhindert werden, sagt ein betroffener Unternehmer, der im Auftrag des Lea Autos sicherstellt. Besonders an den Besichtigungstagen vor der Versteigerung werde mitgenommen, "was nicht niet- und nagelfest ist". Am Versteigerungstag erleben Käufer dann oft eine böse Überraschung. Auf Druck der Umweltverwaltung ist die für den Dezember anberaumte Versteigerung von mehreren hundert Autos abgesagt worden. Man arbeite an Alternativen, heißt es.

Inzwischen hat die EU eine Altauto-Verordnung beschlossen. Danach ist die europäische Automobilindustrie verpflichtet, ab 2006 Altautos unabhängig vom Datum der Zulassung kostenlos zurückzunehmen. Dem Bund der deutschen Entsorgungswirtschaft geht das nicht weit genug. Er verlangt, Gesetzeslücken bei der Auto-Abmeldung zu schließen und die Verwertung von Altautos nur innerhalb der EU zuzulassen. Dem Mülltourismus wird man so kaum beikommen - schließlich gehören Tschechien und Polen zur nächsten EU-Erweiterungsrunde.

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