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Berlin: 888 Tage unschuldig hinter Gittern?

Prozess gegen eine Arzthelferin wegen Mordes an ihrem Vater. Das erste Urteil hatte der BGH zerpflückt

888 Tage saß Monika de M. im Gefängnis. Als mutmaßliche Vatermörderin, die im Haus des bettlägerigen Rentners literweise Brennspiritus vergossen und Feuer gelegt habe. Lebenslange Haft hatte die 22. Große Strafkammer des Landgerichts verhängt. Ein Brandgutachten des Landeskriminalamtes (LKA) war ausschlaggebend. Obwohl es im Prozess heftig umstritten war. Das Urteil wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) zerpflückt.

Die „Strafsache Monika de M.“ wird am morgigen Mittwoch vor einer anderen Strafkammer neu aufgerollt. Waren es im ersten Durchlauf 19 Prozesstage, sind bislang nur zwei anberaumt worden. Wie der Anwalt hatte auch der Schwager der 52-jährigen Arzthelferin für ihre Freilassung gekämpft. Der zweite Prozess werde „vermutlich mit Freispruch enden“, heißt es in einer Erklärung des Schwagern. Darin greift der Mann scharf LKA-Sachverständige an. Die „immer gleichen Akteure“ würden Unschuldige in Schwierigkeiten bringen. Der Fall sei nur „einer in einer immer größer werdenden Kette“.

Laut LKA-Analyse war Brandbeschleuniger im Spiel. Verteidiger und die Familie der Angeklagten gingen dagegen von einem furchtbaren Unglück aus: Aus einem Schwelbrand im Zimmer des 76-jährigen Theodor de M., einem Kettenraucher, habe sich durch Verpuffung ein Vollbrand entwickelt, der wie eine Feuerwalze wütete. Weitere Sachverständige wurden eingeschaltet. Sie erklärten im Prozess, dass die gefundenen Rückstände kein sicheres Zeichen für Spiritus seien. Zweifel an der Schuld von de M. entstanden bei den Richtern dennoch nicht. Sie hielten an dem LKA-Gutachten fest und verhängten Anfang 2005 die Höchststrafe. „Es wurde nachgewiesen, dass ein Brandbeschleuniger benutzt wurde“, hieß es im Urteil.

Eine Entscheidung, die an einem „Darstellungsmangel“ leide. So sah es ein Jahr später der BGH. Das Landgericht habe sich im Wesentlichen nur auf zwei aus einer Reihe von sechs einander widersprechenden Gutachten gestützt. Warum ausgerechnet jene zählten, sei unzureichend erörtert worden. Zwei Monate nach dem BGH-Urteil wurde Monika de M. aus der Haft entlassen.

Viereinhalb Jahre sind seit dem Brand vergangen. Die Arzthelferin hatte in der Nacht zum 18. September 2003 die Feuerwehr in den Neuköllner Uhuweg gerufen. „Schnell, wir brennen ab“, rief sie. Ihr Freund, ein Trinker, lag nach einem Sprung aus dem brennenden Haus mit gebrochenem Becken im Vorgarten. Die Flammen schlugen meterhoch aus dem oberen Stockwerk. Dort war das Zimmer des schwer krebskranken und gehbehinderten Vaters.

„Er hat immer im Bett geraucht“, sagte die Tochter zu einer Polizistin. Es hieß später, sie habe „emotionslos“ gewirkt. Alles schien zu passen. Sie hatte die Möglichkeit, ein Feuer zu legen. Sie war bekleidet, als Einzige unverletzt. „Ich habe meinen Vater nicht umgebracht“, beteuerte sie. Die Richter aber sahen Habgier als Motiv: Sie habe mit Versicherungsgeldern ein neues Leben beginnen wollen.

Kerstin Gehrke

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