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Berlin: 99 Prozent Nebendarsteller

Zitronen und Limonade: Wie man bei der Gala des Deutschen Filmpreises vom Sie zum Du überging

So viel Freude auf einmal schlägt auf den Magen. „Mein Gott, ist mir schlecht.“ Noch ganz gefasst hatte Sibel Kekilli ihre Dankesrede begonnen, soeben bei der Filmpreis-Gala als Beste Hauptdarstellerin benannt. Metaphorisch hatte sie von den Zitronen des Schicksals gesprochen, die sie zu Zitronenlimonade verwandelt habe. Aber dann ging es so nicht weiter, Zitronen hin, Limonade her, ihr war halt schlecht vor Freude. Rührend. Bestimmt einer der Höhepunkte des noch lange nicht beendeten Abends. Und diese feine Art, wie sie mit den „gewöhnlichen Menschen“ abrechnete, „die ein großes Vergnügen an den Fehlern anderer Menschen haben“. Dezenter kann man eine Schmutzkampagne nicht erledigen. „Mama, Papa, ihr könnt stolz auf mich sein.“ Doch, das können sie bestimmt.

Fünf Mal sollte „Gegen die Wand“ von Fatih Akin bei dieser Gala im Tempodrom ausgezeichnet werden, wie im Vorjahr mit „Good bye, Lenin!“ hatte sich der Favorit durchgesetzt. Also einer dieser Filme, die Kulturstaatsministerin Christina Weiss in ihrer Begrüßung als so beispielhaft für den deutschen Film, ja für die ganze Gesellschaft gerühmt hatte. Filme, in denen der „Mut zur Kreativität“ sich durchsetzt und angesichts derer eine Kürzung der Filmförderung „in dieser Zeit nicht die richtige Antwort ist“. Die Spitze gegen Hamburgs Pläne saß. Szenenapplaus.

Gegen halb sieben hatte der Einmarsch der Gäste begonnen, auf einem roten Teppich, der angesichts der unsicheren Witterung erstmals abgedeckelt war. Zum Glück mit durchsichtigen Planen, da kamen die zahlreichen blanken Rücken und tiefgeschnittenen Dekolletés im letzten Sonnenlicht noch prima zur Geltung.

An sich dient so ein Teppich ja weniger der bequemen Überwindung der Strecke zur Eingangstür, sondern ist – besonders für den Nachwuchs – eher ein Laufsteg, um sich zu empfehlen und den Marktwert zu erhöhen. Manche machen das eher verschämt, legen den Mantel nur ungern ab und haben es eigentlich auch nicht mehr nötig wie Christiane Paul. Andere posieren, als gelte es ein Männermagazin mit frischer Fotoware zu versorgen. Wieder andere spielen nur ihre endlose Rolle weiter, Wie Sissi Perlinger zum Beispiel, die mal nicht wie so oft im Leopardenlook erschien, sondern mehr floral, mit einem Korallenfisch als Handtasche. Konsequent in der Selbstdarstellung besonders das Vierer-Team zum „Sommersturm“-Film, der demnächst beim Münchner Filmfest Premiere hat: Hanno Koffler, Kostja Ullmann, Robert Stadlober und Regisseur Marco Kreuzpaintner. Den lautesten Auftritt hatten sicherlich Regisseur Marcus Mittermeier und Drehbuchautor/Hauptdarsteller Jan Henrik Stahlberg, die mit Megafon an der Fotografenreihe vorbeizogen und ihren Film „Muxmäuschenstill“ anpriesen. Ansonsten waren es wieder die üblichen Gesichter, von Karin Baal über Vadim Glowna, Rosa von Praunheim (mit Königskrone), Heino Ferch, Joachim Król, Nina Petri, Klaus Wowereit, Jette Joop, Walter Momper und Claudia Roth.

Einen ersten Lacherfolg hatte gleich der erste Preisträger verbucht, Detlev Buck, ausgezeichnet als bester Nebendarsteller. Das steht so auch auf der Gold-Lola, könnte trübe Gedanken auslösen, dass man sich nicht so lange freuen solle, aber Buck sieht das anders: „Ich bin gerne Nebendarsteller.“ Schließlich seien 99 Prozent der Menschen nur Nebendarsteller.

Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden Moderatoren Ulrich Wickert und Jessica Schwarz von der angestrebten Lockerheit noch ein ganzes Stück entfernt. Hölzern blieben die Pingpong-Dialoge. Möglich, dass es am Sie lag. Aber das war auf Dauer nicht durchzuhalten, Jessica verplapperte sich ganz charmant, schlug dann – „Beim Film sagen doch alle du“ – eine neue Lockerheit vor, was dem Abend sofort bekam. So lässt sich ja auch der krampfigste Humor leichter ertragen, dieser vorgegaukelte Versuch etwa, Bill Murray aus „Lost in Translation“ per Satellit zuzuschalten. Aber als Sibel Kekilli schlecht wurde, waren solche Ausrutscher sofort wieder verziehen.

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