zum Hauptinhalt

Berlin: 99 Zeilen Schwerk: Adolph Menzels Hofblick und erste West-Ost-Schritte aufs große Ganze zu

Die Marienstraße, der Charité wie dem Deutschen Theater nahe gelegen, steht in ihrer kurzen Länge schon seit Ost-Berliner Zeit, unter Denkmalschutz. Das leuchtet ein.

Die Marienstraße, der Charité wie dem Deutschen Theater nahe gelegen, steht in ihrer kurzen Länge schon seit Ost-Berliner Zeit, unter Denkmalschutz. Das leuchtet ein. Hier ist nämlich auf wundersame Weise im letzten Krieg kaum etwas zu Klump gebombt worden. Die Marienstraße liegt zwischen Albrecht- und Luisenstraße, zwischen dem Hotel Albrechts Hof und dem Künstlerheim Luise. Ihr Hausbestand stammt teils aus der ersten Hälfte des nunmehr vorletzten, also 19. Jahrhunderts, teils aus dessen letztem Drittel. Viergeschossig von altersher, manchmal um ein fünftes Geschoss aufgestockt, bilden die Häuser einen Zusammenhang. Die Fassaden-Verzierungen verbindet das geometrische Maß einer fast klassizistischen Strenge. So viel nach vorne hin; nach hinten liegen zwischen Seitenflügeln offene Höfe, oder es bilden Quergebäude geschlossene Gevierte. Die Marienstraße hat für mich zwei schöne, ganz verschiedene Bezüge. Der eine betrifft ein allererstes Bemühen, das zerrissene Stadtbild wieder zu vereinen, die erhaltenen, jedoch sehr vernachlässigten Teile mit vereinten Kräften wieder aufzumöbeln; der andere Bezug ist ein sehr schönes, stilles Bild, das Adolph Menzel in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts gemalt hat: Blick in den kleinen Hofgarten des Hauses.

In der Marienstraße wurde im März 1990 - also noch vor der Währungsunion im Juli und Vereinigung im Oktober - mit frohgemut vereinten Kräften ein Ost-West-Gemeinschaftsvorhaben angefasst, an das ich mich erinnere, als wäre es letzte Woche gewesen. West-Berlin stellte 25 Millionen DM bereit, damit 40 Häuser in Ost-Berlin von Grund auf saniert werden konnten. Mit dem Haus Marienstraße 7 wurde begonnen. West-Berlin lieferte in die Marienstraße das Baumaterial, und Ost-Berlin übernahm die Bauarbeiten, bezahlte die Löhne. In dieser Straße wurde ein allererster, kleiner Schritt aufeinander zu gemacht. Das verdient, in Erinnerung gebracht zu werden. Mittlerweile haben die Häuser die Zeichen einer beschädigungssüchtigen Jugend bekommen. Übrigens zog nebenan, Nummer 8, vor jetzt hundert Jahren der Journalist und Politiker Hellmut von Gerlach ein. Er übernahm 1901 die pazifistische Welt am Montag und gründete die Deutsche Friedensgesellschaft sowie die Liga für Menschenrechte. Wer für dergleichen namentlich steht, verdiente eine Tafel am Hause. Und nicht nur eine Tafel. Eine ganze Unterrichtsstunde in der Schule. Lasst Häuser erzählen!

Nun zu Menzel. Er bezog Ende 1860 mit seinem jüngeren Bruder, seiner Schwester Emilie und deren Mann Hermann Krigar eine Wohnung im Hause Nummer 22. Menzel ist viele Male in Berlin umgezogen. Und er hatte immer wieder Innen- wie Außenansichten seiner Wohnungen gezeichnet oder gemalt. Der Hofblick aus einem rückwärtigen Fenster in der Marienstraße 22 zeigt uns links den angeschnittenen Seitenflügel, vor diesem einen mit großen Granitklumpen gepflasterten Hof, auf dem Hühner trippeln, eine Pumpe steht und vorm Zaun zum Nachbargrundstück ein kleiner Findling liegt. Das Bild gehört zu Menzels Werken in der alten Nationalgalerie. Er hat einer Überlieferung zufolge für Kinder an eine Laube auf jenem Hof große, blaue Papageien gemalt. Die Laube samt Papageien verschlang die Zeit. Der Hof wurde ein vierseitig umbauter Hinterhof, auf dem nichts grünt. Und wie ich nun dieser Tage abends auf ihm stand, machte mir die Ausmalung Spaß, wie dort oben hinter einem der Fenster der zwergwüchsige große Maler damit beschäftigt war, uns dieses stille, schöne Bild zu malen, zu schenken. Es gäbe dem Straßenbild ein wenig Poesie, wenn an Nummer 22 an Menzel erinnert, auf die Nationalgalerie hingewiesen würde, die das stille Hofbild unter ihren Schätzen hütet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false