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Berlin: 99 Zeilen Schwerk: Angler-Philosophie und warum es in Berlin keine fliegenden Fische gibt

Es war eine beiläufige Begegnung mit einem Angler am Spreeufer. Daraus eine kleine Geschichte zu machen, mag als Fingerübung nach langer, urlaubsbedingter Schreibenthaltung taugen.

Es war eine beiläufige Begegnung mit einem Angler am Spreeufer. Daraus eine kleine Geschichte zu machen, mag als Fingerübung nach langer, urlaubsbedingter Schreibenthaltung taugen. Es ist mit dem Schreiben doch immer so eine fließende Sache. Ist der Fluss ausgetrocknet, kommen die Fische nicht recht voran. Es kommt darauf an, diese oder jene Zutat beim Anrichten bekömmlich abzumessen. Beim alten Stechlin, ja bei Fontane selbst: Etwas ganz Richtiges gibt es nicht. Ich spazierte also am linken Spreeufer. An einer der Brücken hinüber nach Moabit, trat ein bärtiger Angler aus dem Schatten, den die Stadtbahn-Stützen an diesem Sonnentag warfen, trat ans Geländer des Spazierweges und begann eine kleine Unterhaltung. Ich sagte etwas von schönem Wetter und fragte, ob denn die Fische fleißig bissen. Und bekam es mit einem Philosophen zu tun. Er legte dar, dass es Dinge gebe, die für den einen verdrießlich, den anderen erfreulich seien. Ich empfände das Wetter als schön. Na schön. Er sei als normaler Mensch ja auch der Ansicht, dass heute schönes Wetter herrsche, aber als Angler, als welchen ich ihn hier anträfe, sei Sonne eben beim Angeln abträglich: Fische bissen besser unter verhangenem Himmel. Er trete nun, so ungefähr fuhr er in der Unterhaltung fort, als benachteiligter Angler unter die liebe Sonne und verwandle sich augenblicklich in einen wie mich, der das Wetter genösse, schön nenne. Etwas blieb aber doch als Angler an ihm, auch unter der Sonne. Die Rute hatte er am Ufer befestigt. Wenn nun ein Fisch bisse, während wir abseits plauderten, rollte sich die Schnur ab, und der Fisch schwömme, den Haken im Maul verhakt, samt Schnur davon. Einerseits fand ich es schmeichelhaft, dass ihm ein Fisch und eine Angelschnur weniger wert zu sein schienen, als eine Plauderei mit mir, finde das aber eine Gemeinheit gegen den Fisch. Der Rutenphilosoph aber sprach: Der Fisch gewöhnt sich an die Schnur wie Sie sich an Ihre Brille gewöhnen. Ein derart mit Haken und Schnur freigelassener Fisch sei ihm mal viel später an eine andere Angel geraten, habe ihm also die Schnur und den Haken zurückgebracht... Nun bekam die Unterhaltung erst richtig Pfeffer. Von solchen Gespinsten, Anglerlatein genannt, lasse ich mich gern einwickeln wie auch vom Seemannsgarn. Beidem gleicht eines: Die fantastischen Geschichten werden nur halb geglaubt; das Hinzugedichtete gilt als glaubhaft, das Wahre als Dichtung.

Ich fand in einem Redensartenbuch den Brief eines Matrosen an seine Mutter. Da geht es von Colombo durch den Indischen Ozean über die Nordspitze Sumatras nach Singapur. Und zwar wurde das Schiff von fliegenden Fischen begleitet, deren Flug unser Matrose hübsch beschreibt: mit übergroßen Brustflossen, die dem hochschnellenden Fisch als Tragfläche dienten und bis zu zweihundert Meter trügen. Und so weiter. Und dass in Singapur eine derartige Hitze herrschte, dass das kochende Hafenwasser die geworfenen Anker zum Schmelzen und den Kapitän in Rage brachten, weil er nun neue Anker kaufen musste.

Die Mutter bedauerte in dem Antwortbrief das Pech des Kapitäns, ermahnte aber den Sohn, doch immer hübsch bei der Wahrheit zu bleiben: Die Geschichte mit den fliegenden Fischen haben wir Dir alle nicht geglaubt. Das ist doch sicher Seemannsgarn.

Zurück an den grünen Strand der Spree: Hier gibt es keine fliegenden Fische. Sie ziehen es vor, unter Wasser zu bleiben, zur Not die abgewickelte Angelschnur wie eine Brille zu ertragen, sich mit den Anglern nicht unnötig anzulegen, ihnen doch lieber die Schnur wieder zurückzubringen; denn anderenfalls wäre mein Philosoph vom Spreeufer am Ende seines Lateins. Und ich säße auf dem Trocknen.

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