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Berlin: 99 Zeilen Schwerk: Begriffs-Fehlgriffe, die in Berliner Ohren zu Reizwörtern werden

Eine meiner allerersten Lektionen in Berlinkunde bekam ich, als ich 15-jährig spreeabwärts hier angelandet war. Sie wurde mir von einem Mitschüler erteilt.

Eine meiner allerersten Lektionen in Berlinkunde bekam ich, als ich 15-jährig spreeabwärts hier angelandet war. Sie wurde mir von einem Mitschüler erteilt. Der Spruch ging so: Mang uns mang is eener mang, der nich mang uns mang jehört. Übersetzt: Unter uns ist einer, der nicht unter uns gehört. Das wollte ich so nicht auf mich bezogen stehen lassen und setzte ein kleines k an die richtige Stelle. Und damit traf ich wohl - das zeigten mir meine bald 50 Berliner Jahre - den Kern Berliner Herkunftsdeutung: Mang uns mang is keener mang, der nich... Dieses mang ist übrigens eine englische Anleihe (among). Berliner wird einer nicht zwingend nur auf dem Geburtswege. Es ist nicht verboten, hier geboren zu werden, aber eben auch keine Bedingung. Einzige Bedingung ist, dass Dazustoßende willens sind, daraus etwas zu machen. Und dass sie lernen und respektieren, was Berliner geprägt hat. Das fängt mit Begriffen an, deren Handhabung zeitgeschichtliche Zusammenhänge begreifbar machen. Damit wird neuerdings zu leichtfertig umgegangen. Ein paar Beispiele:

Der Kalte Krieg dauerte nicht bis zur Wende. Seine Kennzeichen waren: Entführungen auf Nimmerwiedersehen in sowjetische Lager, die Blockade West-Berlins, Überschallflüge mit Scheibenbrüchen bei Anwesenheit von Bundespolitikern in West-Berlin, das Chruschtschow-Ultimatum, die Hallsteindoktrin auf Bonner Seite und Schikanen auf den Transitwegen. Schließlich der Mauerbau und die Schüsse auf Flüchtlinge.

Mit dem Vier-Mächte-Abkommen (1971) und dem darauf fußenden deutsch-deutschen Transitabkommen, ja der Brandt-Scheelschen Ostpolitik war die brenzlige Situation einigermaßen beendet und in subtile Geschäftsbeziehungen übergegangen. Man reizte sich nicht mehr bis aufs Blut, trat sich aber immer wieder auf die Füße.

Der vom SED-Regime auf West-Berlin (SED-Schreibweise: Westberlin) feindselig gemünzte Begriff Frontstadt ging mit dem Ende des Kalten Krieges unter. Das SED-Zentralorgan hatte zum Beispiel den Schauprozess gegen den jungen West-Berliner Tunnelbauer und Tagesspiegel-Fahrer Harry Seidel so überschrieben (28. 12. 1962): Frontstadtterrorist auf der Anklagebank. Willy Brandt wurde als Frontstadtboss beschimpft. Der Begriff tauchte später als innerwestliche Streitaxt bei gut gebetteten Linken wieder auf, die mit ihr einen dritten Weg für Deutschland freischlagen wollten und denen der strikt eingehaltene alliierte Status von West-Berlin dabei im Wege stand. Dass zehn Jahre nach dem Untergang des real existierenden Sozialismus aus einem nicht hinreichend entsorgten SED-Abfall die Frontstadt hervorgekramt wird und von Jüngeren für alles genommen wird, was gegen das ehemalige West-Berlin sprechen soll, ist nicht hinnehmbar. Entsprechende Reflexe der älteren Berliner werden als Mauer-mentales Kalt-Kriegs-Geschwätz abgetan.

Ich war nach der Wende baff, dass einige Kollegen nicht wussten, dass es an der innerstädtischen Demarkationslinie keine Minen gegeben hatte - was sie nicht weniger lebensgefährlich machte. Die Westalliierten - Amerikaner, Briten und Franzosen - im Rückblick Besatzungsmächte zu nennen, ist auch so ein bewusster Fehlgriff, um den weitgehend eingebürgerten Begriff Schutzmächte, der ja keine Vorschrift war, zu diskreditieren. Jeder hier trotz vieler Stürme tief verwurzelte Berliner hat Anspruch darauf, dass seine Begriffe nicht verfälscht und gegen ihn wie seine Stadt missbraucht werden. Ihm wurde in Jahrzehnten mehr zugemutet als jenen, die jetzt naseweis sich mang sie mang mischen, ohne wirklich mang sie mang sein zu wollen.

Wir sprechen uns wieder am 22. Juli.

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