zum Hauptinhalt

Berlin: 99 Zeilen Schwerk: Mit Hans Fallada auf Pinnebergs und Lämmchens Spur am Kleinen Tiergarten

Es war ein trüber Novembertag, überdies war alles eingehüllt in die bleierne Leblosigkeit eines Sonntagnachmittags. Der enge Hinterhof war dementsprechend finster.

Es war ein trüber Novembertag, überdies war alles eingehüllt in die bleierne Leblosigkeit eines Sonntagnachmittags. Der enge Hinterhof war dementsprechend finster. Die ihn verdunkelnden, nur noch vereinzelt behausten, blatternarbigen Quer- und Seitenflügel glotzten aus blinden Fensteraugen auf den Fremden herab. Es roch dumpf. Es war - bis aufs Taubengurren - ganz still. Dorthin, in die Moabiter Turmstraße, dem Kleinen Tiergarten gegenüber gelegen, hatte ich mich verloren auf der Suche nach Handlungsorten des wieder einmal gelesenen Romans Kleiner Mann - was nun? von Hans Fallada. Ich wollte mal sehen, wo er sein Pärchen Johannes Pinneberg und Lämmchen beim Tischlermeister Puttbreese, diesem Suffkopp, einquartiert hatte, was ihm hierfür 1932 als Vorlage gedient haben könnte. Ein ehemaliges Kino, der Turm-Palast, nebenan, gibt den Anhaltspunkt. Und ich glaubte zunächst, über diesen Hinterhof zur Rückseite des Kinos, an die im Roman beschriebene Stelle, zu gelangen. Ein vom Rost vieler Jahrzehnte angefressenes Schild an der Hofmauer machte mich neugierig, und ich trat dicht heran, um es zu entziffern: Achtung! Das Ausschütten von flüssigen Speiseresten. . Und noch ehe ich ...ist verboten! entziffert hatte, traf mich von hinten aus dem Dunkeln die Frage: Suchen bestimmtes? Ich fuhr erschrocken herum und stand Recep Okatan, dem Hauswart, gegenüber. Ich behauptete, um langwierige Erklärungen meines Interesses zu vermeiden, einen Pinneberg zu suchen. Pinneberg? wiederholte er und ging mit mir in den Durchgang des Vorderhauses, wo er den Stummen Portier nach Pinneberg absuchte: Wohnt nicht hier. Daneben war ein handschriftliches Ordnungsgebot angezweckt: Das rauchen in haus ist verboten und auf treppen haus. Diesen sprachlichen Bruchstücken ist ja durchaus zu entnehmen, worum es ging. Das ist die Hauptsache. Daneben und auch an die Wände war gekliert: Türken raus! Ich wollte mit Fallada ins Jahr 1932 gedanklich tauchen, in dem sich die Nazis schon munter mit der verheerenden Arbeitslosigkeit, der Hoffnungslosigkeit stärkten, und wurde mit solchen Wandschmierereien ins Jahr 2000 zurückgerufen. Der Kleine Tiergarten ist bei Fallada nie besonders hübsch gewesen... nur ein notdürftiger Grünstreifen. So ist er heute nicht mehr. Er ist ein schön angelegter kleiner Park. Aber er hat mit jenem von 1932 eine Gemeinsamkeit. Damals wie heute halten sich dort viele arme Menschen auf, Arbeits- und Obdachlose: grau in der Kleidung, fahl in den Gesichtern...die warten, sie wissen selbst nicht mehr auf was, denn wer wartet noch auf Arbeit - ? Auch der Verkäufer Pinneberg wurde arbeitslos. Sein Lämmchen fand eine Wohnung von sonderbarer, aber erschwinglicher Art für ihre bald um Murkel erweiterte Familie. Es war der zweizimmrige Rest einer vorher größeren Wohnung. Man hatte ein Kino in die Hausfront gebaut und damit einer Wohnung viel abgeschnitten, auch das Treppenhaus. Der versoffene Puttbreese hatte die Leiter raufgemacht von seinem Lager her, und weil er Geld braucht, will er nun vermieten. So machte Lämmchen ihrem Mann die neue Unterkunft bekannt. Und wenn wir - Fallada zur Hand - am ehemaligen Kino links in den Hof hineingehen, damals und heute mehr ein Fabrik- oder Lagerhof, dann finden wir einen internationalen Gewürzhandel, wo mal der Tischler Puttbreese seine Werkstatt hatte. Und dort, wo das Kino ins Geländeinnere ragt, findet sich annähernd im Winkel zum Haus daneben die Vorlage für die Pinneberg-Wohnung. Es sind seither bald 70 Jahre verstrichen. Das Kino wurde Billigladen. Hinterhäuser stehen leer. Aber im Kleinen Tiergarten halten sich immer noch Menschen auf, die Falladas Kleinem Mann verwandt sind und sich fragen: Was nun?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false