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Besen im Anflug. Die Müll-Street-Boys wirbeln durch die Straßen. Das ist ziemlich laut – und auch sehr lustig.

© Kai-Uwe Heinrich

Abfall in Berliner Straßen: Impro-Theater gegen das Müllproblem

Die Schauspieltruppe „Müll & The Gang“ um die Regisseurin Andrea Bittermann will mit einer wilden Performance den Dreck bekämpfen.

Trillernd und schimpfend zieht ein seltsamer Trupp am Freitagnachmittag durch die Neuköllner Weserstraße. Rot und dunkelblau uniformiert, im Stechschritt und mit Trillerpfeifen ausgerüstet marschieren drei Männer und drei Frauen die Straße rauf und runter. Bewaffnet jeweils mit einem handelsüblichen Besen.

Was zunächst aussieht wie die verunglückte Invasion einer fremden Macht, ist schnell entlarvt als Theaterperformance der besonderen Art. „Müll & The Gang“ nennt sich diese schauspielerische Kunstperformance der Müll-Street-Boys. Die internationale Gruppe um Regisseurin Andrea Bittermann und Dramaturgin Gundula Weimann möchte so den Blick der Öffentlichkeit auf das Müllproblem in Berlins Straßen lenken.

Für die Berliner Regisseurin begann alles vor ein paar Jahren in Kreuzberg: Deprimiert saß sie vor den Bergen aus Grill- und Plastikmüll, obwohl sie doch einfach nur gemütlich den Sommer genießen wollte. „Ich dachte: Wie kann ich dieses Thema jenseits von Flyern und Plakaten in theatralischer Form in die Öffentlichkeit bringen – mit Humor und ohne erhobenen Zeigefinger?“ So kam ihr die Idee mit den Performances im öffentlichen Raum.

Die Ratten vom Tempelhofer Feld

2012 veranstaltete die Gruppe unter ihrer Leitung unter dem Titel „Die Ratten“ ähnliche Aktionen rund um die Grillplätze auf dem Tempelhofer Feld. Damals zeigten sie als Ratten verkleidet, was passiert, wenn Essensreste liegen blieben. Es folgten Einladungen zu Kongressen und 2015 sogar zum Theaterfestival nach Havanna.

Ihre aktuelle Performance wird im Rahmen des Projekts „Trenntstadt Berlin“ von der BSR und der Stiftung Naturschutz gefördert. Abwechselnd spielt die Truppe in der Neuköllner Weserstraße und der Kreuzberger Oranienstraße – also viel frequentierte Straßen, in denen es das Partyvolk und auch Anwohner nicht immer so genau nehmen mit der Abfallentsorgung.

Ob Zigarettenkippen, Coffee-to-go-Becher, Röhrenfernseher, Klamotten oder Matratzen – in den Straßen der Stadt findet man alles, nicht selten ist der Müll mit handgeschriebenen Zetteln versehen, auf denen „zu verschenken“ steht.

Die Schauspieler wenden sich direkt an die Menschen auf den Straßen: Wo kommt der Müll her?
Die Schauspieler wenden sich direkt an die Menschen auf den Straßen: Wo kommt der Müll her?

© Kai-Uwe Heinrich

Also auf sie mit Gebrüll! Mit bewusst übersteigerter Theatralik wirbelt die Gang durch die Weserstraße und stürzt sich auf herumliegenden Abfall. Auf wildes Besenschwingen in alle Richtungen folgt das Anfunken einer imaginären Zentrale, um Verstärkung für den Kampf gegen die Müllmassen anzufordern. Passanten werden zur Rede gestellt und zu ihrer persönlichen Verantwortung für das verdreckte Straßenbild befragt – mit bescheidenem Erfolg. Vor allem die anwesenden Anwohner im vorpubertären Alter streiten wenig überraschend alles ab – sobald sie sich aus der kurzen Schockstarre lösen, die die direkte Ansprache durch die Müll-Gang bei den meisten Passanten auslöst.

„Ich oder der Wildlachs“

Ist kein Fußgänger in Reichweite, vernehmen die Künstler sich einfach gegenseitig: „Ich oder der Wildlachs, entscheide dich“, schreit eine der Darstellerinnen einen Kollegen an und zeigt dabei energisch gestikulierend auf eine leere Wildlachsverpackung auf dem Bürgersteig. Dabei ist doch klar, wer eigentlich schuld ist an der Müllmisere auf den Partymeilen: na klar, die „Partyhipsterdrogenzombies“ im Kiez, aber auch die Politik: „Weniger Lohn und mehr Arbeit, die spinnen doch! Ist doch klar, dass das System so endet.“

Der Kampf gegen den Schmutz ist nicht ungefährlich.
Der Kampf gegen den Schmutz ist nicht ungefährlich.

© Kai-Uwe Heinrich

Die Reaktionen der Flaneure in der Weserstraße schwanken zwischen Stirnrunzeln, Belustigung und Sympathie – und manchmal auch offener Ablehnung. „Find ich gut, weiter so“, sagt ein Mann im Vorbeigehen. Manche zücken ihre Smartphones. Ein Junge ist weniger begeistert: „Wie viel muss ich bezahlen, damit ihr aufhört?“, fragt er mit gequältem Blick.

Und auch in den Restaurants fühlen sich einige gestört, ein Gast empfiehlt der Gruppe in nicht druckreifer Sprache, sich doch möglichst schnell vom Acker zu machen. Die Künstler grinsen nur, sie sind es nicht anders gewohnt. Mit genervten Beistehenden müsse man eben möglichst spontan und schlagfertig umgehen, sagt einer der Künstler. Manchmal sogar mit der Polizei.

Fünf Kilo Trauben aus Dankbarkeit

Meist läuft aber alles glatt. Die Aufführung ist eine Mischung aus geplanten Szenen und Improvisation. Abgesprochene Trillerpfeifenkommandos helfen dabei, im Geschehen eine Struktur zu bewahren. Vor allem müssen die Darsteller aber auf die Passanten reagieren. Da schenkt ihnen ein Sozialarbeiter schon mal fünf Kilo Trauben – als Dank für ihren Einsatz.

Am 30. September und am 1. Oktober spielen „Müll & The Gang“ in der Oranienstraße in Kreuzberg. Die Performance beginnt jeweils um 16 und 17 Uhr am Heinrichplatz.

Markus Hüttmann

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