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Berlin: Abgekanzelt

Berlins Kiezanwälte sind häufig überschuldet. Viele müssen ihre Zulassung zurückgeben. Die Großkanzleien florieren

Von Claudia Keller

Die wirtschaftliche Notlage Berlins hat auch die Anwälte erreicht. Die Zahl derer, die ihre Zulassungen zurückgeben müssen, weil sie überschuldet sind, ist in den vergangenen zwei Jahren sprunghaft gestiegen. Das habe Folgen, sagt Ulrich Schellenberg, der zweite Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereins. Denn „der Anwalt ist der einzige unabhängige Berater, der ausschließlich die Interessen seines Mandanten vertritt“.

„Bisher kannten wir nur den arbeitslosen Juristen, den insolventen Anwalt kannten wir noch nicht“, so Schellenberg. Im Jahr 2000 entzog die Anwaltskammer sechs Anwälten wegen Überschuldung die Zulassung, 2001 waren es 17. Immer mehr geben ihre Zulassung freiwillig auf. 1997 waren es noch 82, vergangenes Jahr bereits 150. Drei Viertel sind Berufsanfänger und junge Anwälte zwischen 27 und 39 Jahren. Heute verdient ein „Wald- und Wiesenanwalt“ in einer Einzelkanzlei im Durchschnitt 2000 Euro. Davon gehen noch Kranken- und Rentenversicherungen ab. Rund 60 Prozent der 9000 Anwälte sind Einzelkämpfer.

Der zunehmenden Zahl insolventer Kleinkanzleien steht eine wachsende Zahl von Großkanzleien mit mehr als 20 Anwälten gegenüber. „Vor 1990 haben wir Kanzleien mit acht Anwälten in Berlin schon ,Fabrik’ genannt“, sagt Kay-Thomas Pohl, der Präsident der Berliner Rechtsanwaltskammer. Heute gilt so eine Kanzlei als mittelgroß. Zu Beginn der 90er Jahre sind viele westdeutsche Kanzleien mit Berliner Partnern zusammengegangen. Mitte der 90er schlossen sich Großkanzleien mit angloamerikanischen Partnern zusammen, um für internationale Konzerne attraktiv zu sein.

Während sich viele Einzelanwälte mit wenig lukrativen Fällen im Sozial- und Verkehrsrecht beschäftigen oder als Pflichtanwälte in Strafprozessen auftreten, spezialisieren sich die großen „law firms“ auf die einträglichen Bereiche des Gesellschaftsrechts oder Urheberrechts und wickeln Unternehmensfusionen mit hohen Streitwerten ab. Für die anderen kommt erschwerend hinzu, dass sie nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (Brago) abrechnen. Sie orientiert sich am Streitwert und wurde seit 1994 nicht verändert. Für einen Streitwert von 1000 Euro zum Beispiel stehen dem Anwalt laut Brago 87 Euro zu. Egal, ob er dafür nur einen einzigen Brief aufsetzen muss oder einen Mandanten in langen Telefonaten zu betreuen hat.

Die Großkanzleien hingegen handeln mit ihren Mandanten Stundenhonorare aus, die im Durchschnitt zwischen 150 und 500 Euro liegen. Die Streitwerte sind etwa bei Konzernfusionen so hoch, dass sie den Rahmen der Brago sprengen. So kommt es, dass auf die Großkanzleien mit über 50 Anwälten, die bundesweit nur acht Prozent aller Kanzleien ausmachen, mehr als 20 Prozent des Umsatzvolumens entfallen.

Während vor 25 Jahren nur 30 Prozent der Juristen Anwälte wurden, sind es heute 80 Prozent. Denn sie kommen in den öffentlichen Verwaltungen und Unternehmen immer seltener unter. Außerdem leiden gerade die Berliner Anwälte unter der „extrem schlechten Zahlungsmoral“ der Mandanten, sagt Ulrich Schellenberg. .

Seit Jahren kämpfen die Berufsverbände für eine Reform der Brago. Die rot-grüne Bundesregierung hatte versprochen, mit einer neuen Gebührenordnung dafür zu sorgen, dass auch kleinere Streitwerte leistungsbezogen abgerechnet werden können. Der Expertenentwurf ist im Rechtsausschuss des Bundestages bisher aber nicht abschließend beraten worden.

Wenn aber der Kiezanwalt verschwinde, sagt Schellenberg, sei die flächendeckende Versorgung der Bürger mit anwaltlicher Hilfe nicht mehr gewährleistet. Viele hätten Hemmungen, mit einem kleinen Alltagsproblem zu einer Kanzlei am Kurfürstendamm zu gehen. Die Amtsgerichte und Verbraucherzentralen bieten zwar auch Rechtsberatung an. Aber im Gegensatz zu einem Anwalt haften sie nicht für ihren Rat. Die unabhängige Beratung sehen die Anwaltsvereine auch deshalb in Gefahr, weil Banken und Versicherungen immer mehr Beratungsgespräche an sich ziehen würden. „Wenn es erst einmal so weit ist, dass die Banken die Erbfolge regeln und die Versicherungen die Schuldfrage bei Verkehrsunfällen, dann ist etwas schief gelaufen“, sagt Schellenberg.

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