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Berlin: Abgekühlte Sympathie

Sicherheitsbehörden befürchten, alte RAF-Kämpfer könnten Ikonen für Linksradikale werden. In der Szene sieht man die Gefahr nicht

Ehemalige Terroristen der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) könnten „Ikonen“ der jungen militanten Linken werden – das befürchtet offenbar die Bundesanwaltschaft. In der Szene wundert man sich darüber. Philipp Stein schüttelt den Kopf. „Die RAF ist Geschichte, sie spielt in den aktuellen Kämpfen schon lange keine Rolle mehr“, sagt der Sprecher der linksradikalen Gruppe Fels, die Proteste gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm organisiert und am Dienstag von der Großrazzia betroffen war. Wer den Kritikern des Weltwirtschaftstreffens eine personelle oder ideologische Nähe zur historischen RAF oder anderen Terrorgruppen unterstelle, mache sich unglaubwürdig. Schließlich gehe es den Protestlern darum, für den Widerstand gegen den härter werdenden Kapitalismus massenhaft Unterstützer zu gewinnen.

Trotz ihrer Bereitschaft zu militanten Aktionen sei die linksradikale Szene weit vom Terrorismus entfernt, heißt es aus Sicherheitskreisen. Tatsächlich ist man sich ungeachtet etwaiger Sympathien für die sogenannten Feierabendterroristen der „militanten gruppe“ (mg) in der linken Szene Berlins einig: Gewalt sollte nur symbolischen Charakter haben.

Erst kürzlich hatten bei der „Revolutionären 1. Mai-Demonstration“ in Kreuzberg zahlreiche Teilnehmer die Freilassung des ehemaligen RAF-Mitgliedes Christian Klar gefordert. Auch andere Ex-Terroristen treten auf Veranstaltungen der linken Szene auf: So beklatschten junge Autonome am 1. Mai den 59-jährigen Ralf Reinders, der 1975 als Mitglied der „Bewegung 2. Juni“ an der Entführung des damaligen Berliner CDU-Chefs Peter Lorenz beteiligt war. Ebenfalls dabei war seine Mitstreiterin Inge Viett, inzwischen 63 Jahre alt.

Viett war zuletzt öffentlich mit einem wütenden Text in der linken Zeitung „Junge Welt“ aufgefallen. Im Januar sagte sie die Teilnahme an einer Diskussion ab, zu der das „Neue Deutschland“ geladen hatte. Viett war als ehemalige RAF-Terroristin angekündigt. Sie sollte etwas zur Zusammenarbeit mit der Stasi sagen, die einigen RAF-Mitgliedern in den 70er Jahren half, in der DDR unterzutauchen. Ihre Absage begründete die Publizistin und Buchautorin mit der „Terminologie“ des Einladungstextes. Offenbar wollte sie nicht bloß als RAF-Auskunftgeberin an der Runde teilnehmen, sondern als noch immer aktive revolutionäre Kämpferin angekündigt werden. So jedenfalls las sich ein Text in der „Jungen Welt“, in dem Inge Viett den „Klassenkampf von unten“ verteidigte, gegen die „Diffamierung der letzten Gefangenen aus der RAF“ polemisierte. Die Frage, warum die RAF zu den Waffen gegriffen hat, beantwortete sie mit der Gegenfrage: „Wieso haben nur wir – ein paar Hände voll – zu den Waffen gegriffen?“

„Sicherlich werden Viett und Reinders beklatscht“, sagt ein Aktivist, der selber erst 25 Jahre alt ist. „Doch dabei geht es um Solidarität, nicht um Nacheifern.“ Die Forderung nach der Freilassung für Christian Klar würde jeder aus der Szene unterstützen. Dennoch bestreite niemand, dass die Terroristen der 70er und 80er Jahre politisch gescheitert seien. Ähnlich sieht das die „Antifaschistische Linke Berlin“ (ALB), die von den Behörden mitunter als gewaltbereit eingestuft wird. „Die RAF spielt für die linksradikale Politik heute keine Rolle mehr“, sagt Sprecher Tim Laumeyer. Man wolle möglichst viele Leute gegen den G-8-Gipfel auf die Straße bekommen.

Reinders und Viett waren an diesem revolutionären 1. Mai nicht zum ersten Mal dabei, wie regelmäßige Beobachter der Veranstaltung sagen. Reinders sei „seit Jahr und Tag in Kreuzberg unterwegs“, sagt einer, der ihn seit langem kennt. Bis zu diesem Jahr war er allerdings nicht als Redner aufgefallen. Dass er, der nie zu den Vordenkern der militanten Linken gehörte, sich in den Streit um die Amnestie für Christian Klar einmischte, könnte schlicht mit der großen Aufregung zu tun haben, in der die Debatte geführt wurde.

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