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Rekord-Regierender: 16 Jahre lang steuerte Eberhard Diepgen die Berliner Geschicke.

© Thilo Rückeis

Abgeordnetenhauswahl: Was Diepgen dem nächsten Senatschef empfiehlt

Keiner regierte Berlin so lange wie Eberhard Diepgen: Der einstige Regierende Bürgermeister erklärt, wie man diese Stadt im Griff behält – und seine Koalition.

Vertrauen. Das Wort kommt Eberhard Diepgen so zögernd über die Lippen, als wäge er es beim Sprechen noch einmal ab. Ja, sagt er, Vertrauen ist für eine Koalition, die erfolgreich sein will, ein hohes Gut. Aber, diesen Nachsatz spart er sich, alles andere als selbstverständlich unter politischen Konkurrenten. Der ehemalige Regierende Bürgermeister kann auf diesem Feld sehr viel Erfahrung für sich reklamieren. Kein Berliner Regierungschef hat so lange wie er regiert – nahezu 16 Jahre lang steuerte er die Berliner Geschicke. Dabei hat er mit wechselnden Partnern sehr wechselvolle Erfahrungen gemacht.

Als er 1984 als Nachfolger Richard von Weizsäckers erstmals ins Amt kam, regierte er mit der FDP. Die war damals eine durchaus heterogene Vereinigung, vom liberalen Fraktionschef Walter Rasch bis zum nationalen Rechtsausleger Alexander von Stahl. Über zehn Jahre lang stand Diepgen dann einer CDU-SPD-Koalition vor, bis diese 2001 über den Bankenskandal zerbrach. Der damalige Fraktionschef Klaus Wowereit und SPD-Landeschef Peter Strieder stürzten Diepgen mit einem Misstrauensantrag, dem auch die Oppositionsparteien Grüne und Linke zustimmten.

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Seitdem ist Diepgen neben der Arbeit als Anwalt nur noch ein genauer Beobachter der Berliner Politik, ein Elder Statesman, der über seiner eigenen Partei schwebt, sich auch kritische Worte erlaubt. Zumal die Berliner Christdemokraten nicht immer herzlich mit Diepgen umgegangen ist. Nach seiner Abwahl verweigerte ihm ein Parteitag 2002 den ersten Listenplatz für die Bundestagswahl 2002 – woraufhin Diepgen verärgert nach 19 Jahren den Vorsitz des CDU-Landesverbands niederlegte. Zur Wiedergutmachung wurde er 2004 zum Ehrenvorsitzenden ernannt.

Gut beschäftigt ist Diepgen immer noch. Vor allem engagiert sich der schlank gebliebene Diepgen, der 1999 mit dem Wahlkampfspot „Diepgen rennt“ auf dem Höhepunkt seiner Popularität über 40 Prozent der Wähler überzeugte, intensiv im Flüchtlingsbeirat des Senats.

Er beobachtet mit Sorge die Zustimmung für die AfD und vergleicht mit den „Republikanern“, die 1989 ins Abgeordnetenhaus einzogen. Die hätten im Parlament nur „Krawall und Blödsinn“ gemacht, erinnert sich Diepgen. Von der intellektuellen Substanz her sei das nicht vergleichbar mit dem Personal der AfD. Deswegen glaubt er nicht, dass die AfD schnell wieder verschwindet.

Vor allem, falls die Berliner CDU nach der Wahl am 18. September mangels Koalitionspartner neben der AfD auf den Oppositionsbänken Platz nehmen muss, werde es „sehr schwierig“, ist Diepgen Einschätzung.

Und welche Perspektiven hätte eine Regierungskoalition von SPD und Grünen oder gar ein rot-grün-rotes Dreierbündnis mit der Linken, was angesichts der Wahlprognosen ebenfalls denkbar wäre?

Man muss für eine erfolgreiche Koalition nicht befreundet sein, sagt Diepgen, „aber man muss eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung haben.“ Ein Senatschef müsse sich darauf verlassen können, dass man mit Regierungsmitgliedern aus der anderen Partei „Gespräche führen kann, die vertraulich bleiben und Absprachen eingehalten werden.“

Die zu Ende gehende Koalition von SPD und CDU ist für Diepgen kein gutes Beispiel einer gelungenen Zusammenarbeit. Diese Jahre seien vielmehr „von großem Misstrauen geprägt“ gewesen, hat er beobachtet. Das „hemmt“, merkt er trocken an.

Wie man eine Koalition führt, in einfachen wie in krisenhaften Zeiten, dazu weiß Diepgen vieles zu erzählen. Als der Jurist ins Amt kam, besaß ein Regierender Bürgermeister anders als heute keine Richtlinienkompetenz und konnte auch keine Senatoren aus eigener Entscheidung entlassen. Erst die rot-rote Koalition stattete Klaus Wowereit mit solcher Machtfülle aus.

Zu Diepgens Zeiten war selbst die Frage lange umstritten, ob der Regierende Bürgermeister die Tagesordnung der Senatssitzungen bestimmen darf. Die begrenzte Entscheidungsmacht hat einerseits Diepgens Regierungsstil geprägt, andererseits kam sie wohl auch seinem eigenen Temperament entgegen. Er hat dafür billigend hingenommen, dass er selbst in seiner eigenen Partei als der führungsschwache und zu kompromissbereite „blasse Eberhard“ kritisiert wurde.

Ausloten, austarieren, Kompromisse suchen – das hat Diepgens Amtsverständnis bestimmt. Niemals dürfe es nur um Konkurrenz gehen. „Wichtig ist eben auch, dass man dem Partner den Raum für dessen Profilierung lässt“, betont er: Auch wenn es einem selber ein Herzensthema ist, müsse ein Regierungschef zulassen, dass ein Senator der anderen Partei dies vorträgt und als seine Sache darstellt.

Deswegen habe er die Senatskanzlei immer als zentrales Instrument gesehen, um eine Koalition möglichst reibungsfrei zu steuern. Mit Referenten, die ständig mit anderen Senatsverwaltungen kommunizierten, um als Frühwarnsystem rechtzeitig strittige Themen zu erkennen – damit es gar nicht erst zu Konflikten bei der Senatssitzung kommt.

Zum notwendigen Vertrauen gehöre auch, dass der Koalitionspartner frühzeitig warnt, wenn Initiativen zu strittigen Themen anstehen. Man braucht nicht zu fragen, wie Diepgen es bewertet, dass etwa Klaus Wowereit seinen Innensenator Frank Henkel Ende 2013 voll gegen die Wand laufen ließ, als der die Räumung des Flüchtlingscamps auf dem Oranienplatz forderte. „Ich habe immer fürchterlich aufgepasst, nicht öffentlich über Senatskollegen herzufallen“, sagt der Ehrenvorsitzende der Berliner CDU nur. Dass sein Nach-Nachfolger Michael Müller Ende 2015 eine Regierungserklärung abgab, ohne den Partner CDU vorab darüber zu informieren, nennt er deshalb einfach nur „indiskutabel“.

„Man kann doch nicht derart über den eigenen Innensenator und Sozialsenator herfallen und sie runter machen“, sagt Diepgen: „das ist doch auch eine Frage des Stils“. Für Fehlentwicklungen sei eben doch immer auch der Senatschef verantwortlich.

In seiner Zeit seien sämtliche Regierungserklärungen immer vorab abgesprochen worden. Außerdem habe er in seiner Regierungszeit zusätzliche „Senatsausschüsse“ eingerichtet, in denen für die Berliner Entwicklung zentral wichtige Entscheidungen erörtert wurden – damals etwa das Bebauungskonzept für den Pariser Platz. Nur so könne man auch Gesamtverantwortung im Senat organisieren.

Aus dieser Erfahrung heraus bewertet er auch die Machtinstrumente eines Regierenden Bürgermeisters zurückhaltend. „Richtlinien-Kompetenz darf man nicht überschätzen“, sagt er: „Was sie nicht mit Sachkompetenz untermauern, können sie nicht durch Richtlinienkompetenz ausgleichen“. Viel wichtiger sei die Möglichkeit, selbstständig auch Senatsmitglieder abzuberufen. „Senatoren müssen wissen, dass sie sich einen richtigen Streit nicht leisten können“.

Ohne Richtlinienkompetenz hatte Diepgen es in den Krisen seiner Zeit ungleich schwerer. Als im sogenannten „Antes-Skandal“, benannt nach dem bestechlichen Charlottenburger Baustadtrat Wolfgang Antes, auch die Verstrickung von anderen CDU-Funktionären und FDP-Vertretern herauskam, konnte Diepgen nur um Rücktritt bitten. „Es hat unendlicher Gespräche bedurft, um den damaligen FDP-Senator Horst Vetter zu überzeugen, dass er unhaltbar geworden war“, erinnert sich Diepgen.

Kritisch sieht Diepgen die Veränderung der Senatskanzlei in den vergangenen Jahren. Statt vorrangig Koordinierungsinstanz der Landesregierung zu sein, habe sich die Senatskanzlei unter Michael Müller zu einem parteipolitisch ausgerichteten Instrument gewandelt. „Wer die Senatskanzlei als Parteizentrale begreift“, sagt der 74-Jährige, „verstärkt nur das Misstrauen des Partners“. Als Wowereit-Nachfolger habe Müller ein sehr gutes erstes halbes Jahr hingelegt, lobt Diepgen, sich danach aber viel zu sehr auf die Partei eingelassen.

Diepgen kann nicht verstehen, warum Müller im April 2016 zusätzlich auch noch den SPD-Landesvorsitz haben wollte. Wenn es wie bis dahin in der SPD mit dem SPD-Fraktionschef Raed Saleh und dem Landesvorsitzenden Jan Stöß mehrere Machtzentren in der Partei gibt, dann benötige ein Regierender Bürgermeister nicht noch zusätzlich den Parteivorsitz, ist Diepgen überzeugt. Wowereit sei deswegen seine Partei immer egal gewesen.

Man kann daraus den Umkehrschluss ziehen, dass Diepgen selbst den Parteivorsitz über so viele Jahre innehatte, um den eh schon omnipräsenten Klaus-Rüdiger Landowsky in Schach zu halten. Der war als CDU-Fraktionschef, Multi-Funktionär und Bankvorstand über zwei Jahrzehnte der starke Mann der Berliner CDU, bis er über die nicht korrekte Annahme einer Parteispende stürzte und die Berliner CDU mit in den Abgrund riss. „Es muss auch eine Rücksichtnahme auf die Entwicklungen beim Partner geben“, betont er.

Jeder Regierende Bürgermeister müsse sich als Regierungschef für beide Partner verstehen – das war zuweilen bei Wowereit und regelmäßig bei Müller nicht der Fall. Das habe durchaus Konsequenzen. Wenn man Fehlentwicklungen nicht vertrauensvoll diskutieren könne, würden die Fehler nicht gelöst, sondern nur immer größer, kommentiert Diepgen – auch mit Blick auf das von Wowereit zu verantwortende BER-Desaster.

Dass die SPD-CDU-Koalition von Beginn an von mehr Miss- als Vertrauen begleitet wurde, hat wohl auch viel zu tun mit den unterschiedlichen Kulturen in den linken sozialdemokratischen Ortsvereinen und den eher bürgerlich-konservativen Bezirksverbänden der Berliner Union. Die SPD-Basis fremdelt auch nach fünf Jahren gemeinsamen Regierens noch mit der CDU. Wie aber umgehen, wenn es trotzdem kracht? Schließlich ist jedwede Koalition tendenziell konfliktträchtig, weil es sich um konkurrierende Parteien handelt.

Dann müsse man sich eben auf die wichtigsten Gemeinsamkeiten konzentrieren, und darauf eine solide Koalition aufbauen, sei sein Rezept gewesen. Und viele persönliche Gespräche führen, gehöre auch zur Deeskalation. Verhindern, dass jedes Sachthema zur Koalitionsfrage stilisiert wird, sei ganz wichtig.

Da hat Diepgen noch schlechte Erinnerungen an die die 90er Jahre mit der damaligen SPD-Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing. Was aber, wenn der Regierungspartner unbedingt aus einer ungeliebten Koalition raus will? Dann hilft alle deeskalierende Einwirkung nicht, musste Diepgen erfahren. Den knallharten Willen des damaligen Fraktionschefs Klaus Wowereit, die SPD aus der ungeliebten Juniorpartnerschaft zur CDU zu lösen, habe er 2001 „unterschätzt“. Er habe sich damals auch nicht vorstellen können, dass der eher lockere Wowereit zu der „harten Arbeit bereit ist, die das Amt erfordert“. Das war eine Fehleinschätzung.

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