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Berlin: Abgründe der Seele

Tote reden halt doch, aber nur vor auserwähltem Publikum. Die Zuhörer tragen meist weiße Mäntel.

Tote reden halt doch, aber nur vor auserwähltem Publikum. Die Zuhörer tragen meist weiße Mäntel. Ein schauriges Treffen. Man nennt es Obduktion - die Suche nach Antworten auf die Frage, warum ein Mensch gestorben ist. Im Buch "Zeitzeuge Tod" können auch Nicht-Mediziner daran teilnehmen. Die drei Berliner Ärzte Gunther Geserick, Klaus Vendura und Ingo Wirth gehen spektakuläre Fälle aus 100 Jahren Berliner Gerichtsmedizin durch.

Keine Lektüre für sanfte Gemüter. In allen blutigen Details beschreiben die Autoren beispielsweise von der in Einzelteile zerschnittenen neunjährigen Lucie aus dem Jahre 1904. Eine unheimliche Mordtat: Die Glieder des Mädchens soll der vermeintliche Mörder Theodor Berger in einem Korb verstaut haben, bevor er alles zusammen in die Spree warf. Am Institut für Rechtsmedizin der Humboldt-Universität versuchten Ärzte, den Vorgang zu rekonstruieren. "Bei Hineinlegung von Kopf, Rumpf und Armen ging der Deckel nicht ganz zu", erfährt der Leser. Die Beine mussten draußen bleiben.

Aber es kommt noch schlimmer, beinahe verschlägt es sogar den Doktoren die Sprache. Aber nur beinahe. Das Kapitel über den sadistischen Sexual-Serienmörder Erwin Hagedorn 1969 leiten die Autoren mit folgendem Satz ein: "Sexualmorde an Kindern entziehen sich eigentlich jeder Beschreibung." Die Zurückhaltung währt jedoch nicht lange. Nur die Kenntnis menschlicher Abgründe und der Vorgehensweise der Täter erlaube gesellschaftliches und persönliches Schutzverhalten, rechtfertigen die Gerichtsmediziner die Schilderung des Falls. Die folgenden Seiten sind grausamer Höhepunkt des Werkes. Dem 17-jährigen Täter verschafften seine brutalen und extrem blutigen Morde sexuelle Erregung. Auch hierbei muten die Autoren dem Leser alle Details zu, schildern dabei beispielsweise, wie die Abfolge der Messerstiche ermittelt wurde. Erleichterung dürfte bestenfalls am Ende des Kapitels eintreten, wo man erfährt, dass der bestialische Berliner Mörder 1972 gefasst wurde. Sofern der Leser das Buch nicht schon angeekelt zur Seite gelegt hat.

Burkhart Röper

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