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Berlin: Abitreffen nach 60 Jahren

Die Prüfungen schrieben sie 1947 mit Pudelmütze. Jetzt trafen sich sechs von 18 ehemaligen Schülern des Georg-Herwegh-Gymnasiums

Im Politikwissenschaft-Leistungskurs des Georg-Herwegh-Gymnasiums in Hermsdorf sitzen die Schüler normalerweise in bunten T-Shirts, Turnschuhen und Jeans auf den Plätzen. Gestern bot sich ein anderes Bild: Traditionell, mit Anzug und Krawatte, nahmen sechs Männer im Alter von 78 und 79 Jahren neben den Schülern Platz. Sie feierten ihr 60-jähriges Abituriententreffen. Zu diesem Anlass suchten sie auch ihre Klassenzimmer von damals auf.

„Das Aussehen der Schüler hat sich sehr verändert. Wir hatten unsere Haare kurz geschnitten und Mädchen gab es im Schulgebäude nicht“, sagt Hans-Joachim Ohde aus Berlin. Bis zum Jahr 1962 war das Gymnasium eine Knabenschule. Der Altbau, in dem damals rund 450 Schüler unterrichtet wurden, musste im Jahr 1983 durch einen Anbau ergänzt werden. Heute werden hier etwa 1050 Schüler unterrichtet – aus Platzmangel sogar in der damaligen Direktorenvilla.

„Für mich hat das alte Schulhaus besondere Bedeutung, weil mein Vater es 1927 entworfen und gebaut hat“, sagt Dieter Engelhardt. Zusammen mit Dietrich Schneider organisierte der 78-Jährige das Treffen. Um die Ehemaligen zusammenzutrommeln, mussten die beiden viel recherchieren – die Klassenkameraden verschlug es in die verschiedensten Städte.

Drei der sechs anwesenden Abiturienten wohnen heute in Berlin, die anderen leben in Selb, Verden und Bonn. Von den 21 Schülern, die im Jahr 1939 ins Gymnasium kamen und dort 1947 ihr Abitur machten, sind acht verstorben, sieben konnten aufgrund von Krankheiten nicht anreisen.

Der Klassenprimus fehlte gestern aber nicht: Jürgen Salzwedel wurde Professor der Rechtswissenschaft. Als Einziger seines Jahrgangs bestand er sein Abitur mit der Note Eins – die anderen fünf legten ihre Reifeprüfung immerhin mit Zweien und Dreien ab. „Wir mussten ein Gesamtabi in Deutsch, Englisch, Latein und Mathe machen. Und wegen des Krieges waren wir nur schlecht darauf vorbereitet“, erzählt Dieter Engelhardt.

Die Schüler des Abiturjahrgangs von 1947 blicken auf eine turbulente Schulzeit zurück: Nach Kriegsausbruch fand der Unterricht in der Hermsdorfer Volksschule statt, das Schulgebäude an der Fellbacherstraße diente als Lazarett. Ab 1943 wurden die Schüler wegen der Bombenangriffe nach Schlesien und Österreich ausquartiert, 1945 nahm man den Schulbetrieb in Berlin wieder auf.

Dieter Engelhardt erinnert sich gut an diese Zeit: „Damals wurden viele Lehrer ausgetauscht, weil sie Nazis waren. Es gab auch andere, beispielsweise unseren Biologielehrer. Der war im 1.Weltkrieg verletzt worden und nicht gerade begeistert, als der 2.Weltkrieg begann. Vielen von uns Schülern wurde allerdings erst während der Nürnberger Prozesse richtig klar, welch’ verbrecherisches Regime wir überlebt hatten.“

Im wahrsten Sinne des Wortes: Die Schüler des Abiturjahrgangs 1947 kamen gerade so am Kriegseinsatz vorbei. „Einige von uns hatten schon Einberufungsbefehle, da war der Krieg zu Ende“, erzählt Engelhardt: „Die Prüfungen schrieben wir im April 1947. Der Winter war hart und lang – in der Schule herrschte Eiseskälte. Wir saßen mit Wintermantel und Pudelmütze im Klassenzimmer.“

Neidisch blickt Engelhardt dennoch nicht auf die Schüler von heute. „Die schwere Nachkriegszeit hat uns gegen vieles stark gemacht“, sagt er und wird in seinem Redefluss vom schrillen Läuten der Schulglocke unterbrochen. „Der Lärm ist gleich geblieben, ein schrecklicher Ton“, meint der ehemalige Abiturient. Noch nervenaufreibender waren da wohl nur die strengen Lehrer. Das allerdings, sagen die heutigen Schüler des Gymnasiums, sei 2007 noch genauso.

Katja Görg

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