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An der Niederkirchnerstraße ist die Originalmauer weitgehend noch erhalten. Die Schäden stammen aus der Wendezeit.

© Mike Wolff

Abriss der East Side Gallery: Immer an der Wand lang

Wo lässt sich die Mauer noch nachempfinden? Wie pflegen wir die Reste der Teilung? Ein Spaziergang entlang der alten Grenze, derer sich inzwischen die Vergnügungsindustrie bemächtigt hat.

Hier steht sie noch, umzäunt und denkmalgeschützt, 200 Meter lang. Die Stahlbewehrungen sind verrostet und haben den Betonmantel gesprengt. Aber der seltsame Torso an der Niederkirchnerstraße gibt uns eine überzeugende Vorstellung davon, wie unüberwindbar dieses Bauwerk war, das die Stadt und recht eigentlich auch den Kontinent 28 lange Jahre geteilt hatte. Je weiter wir uns vom historischen 9. November 1989 entfernen, desto näher rückt uns das Thema Berliner Mauer. Der Streit um die East Side Gallery ist vielleicht auch ein Ausdruck für Ratlosigkeit: Was fangen wir mit den Resten an? Wie pflegen wir sie? Wem nützen sie? Was zeigen wir unseren Kindern und Enkeln von den Überbleibseln einer Zeit, von der so viele so vieles durcheinanderreden? Wo also ist die Mauer noch erfahr- und begreifbar, wenn man so ein Monster überhaupt begreifen kann?

Die Niederkirchnerstraße mit der Topografie des Terrors und der Mauer ist ein idealer Ort der Begegnung mit den Grausamkeiten deutscher Diktaturen. Sollte dieser „Schutzwall“ gepflegt und erhalten werden? Ines und Herbert Ihlo aus Quedlinburg im Harz, denen die Kinder zu Weihnachten einen Wochenendtrip nach Berlin geschenkt haben, sagen spontan: „Ja, denn es gehört zu unserer Geschichte.“ Im Harz war die Mauer ein Zaun, der ist längst verschwunden. Im Hintergrund strotzt der Bau des einstigen Reichsluftfahrtministeriums vor Kraft, „hier setzen sie sich rein, aber den Palast der Republik haben sie abgerissen“, kommentiert Herbert Ihlo die jetzige Nutzung von Görings Ministerium. An der Außenwand, über unseren Köpfen, liest man einen Spruch von Harro Schulze-Boysen, der hier gearbeitet hatte und im Dezember 1942 von den Nazis hingerichtet wurde: „Glaubt mit mir an die gerechte Zeit, die alles reifen lässt.“ Ein paar Schritte weiter zeigt die unternehmerische Vergnügungsindustrie, wie sie sich jedem Zipfel Historie hingibt: „Curry at the wall“ gibt es und „Homemade Soup“ samt Trabi-Safari. Warum nicht gleich Mauer-Suppe oder Zement-Curry?

Touristen an der Gedenkstätte Bernauer Straße.
Touristen an der Gedenkstätte Bernauer Straße.

© Mike Wolff

Solche Blüten zieren den Checkpoint Charlie nicht, dennoch irren die Touristen auf der Suche nach dem Geist des Ortes durch die Friedrichstraße, sehen geschlossene Essbuden, unfreundliche, radebrechende Souvenirverkäufer, die sich mit gräulichen Gasmasken, Hammer-und-Sichel- Symbolen und Mützen der Nationalen Volksarmee die Beine in den Bauch stehen. Italiener, Spanier, Chinesen und Amerikaner sind ratlos: „Das hier hat doch mit den Ursprüngen nichts zu tun“, sagt ein Ehepaar aus Bad Homburg. Immerhin ein Amerikaner ist begeistert: „Hello, hier gibt’s was!“ Im einzig verbliebenen Stand sagt der Wurstmaxe: „Die Touristen erwarten hier etwas ganz anderes, aber am Ende nehmen sie meine Bratwurscht!“

Das Mauerpanorama ist ein guter Anfang, dem historischen Ort eine kleine Realität zu geben, die herumstehenden Mauerteile tun das in ihrer skurilen schreienden Farbgebung bestimmt nicht: Lisa Grubb aus New York hat ein 3,8 Tonnen schweres Segment mit einer Pop-Art-Kuh bemalt, positive Energie und Optimismus sollen aus der Mauer herausspingen, und man kann lange darüber streiten, ob das Gebilde zu Mauerzeiten so richtig lustig war, bunt konnte es nur von der Westseite aus sein. Im Osten wurde der Schutzwall so gut geschützt, dass sich jeder, der sich mit Farbtopf, Pinsel und Leiter näherte, im Knast wiederfand. Am Potsdamer Platz verkauft Helko Bruns „seit über 50 Jahren“ seine Postkarten mit der bunten Mauer, „als Studenten sind wir hier volltrunken rübergeklettert, aber aus dieser Zeit ist nix mehr übrig“.

Am Potsdamer Platz sind die Mauerstücke nur Kulisse.
Am Potsdamer Platz sind die Mauerstücke nur Kulisse.

© Mike Wolff

Das beklagt auch Sebastian, einer jeder Studenten, die den Touristen Stempel „der Sicherheits- und Zollorgane der DDR“ in die Pässe knallen. Der junge Mann spricht fünf Sprachen, steckt in einem NVA-Mantel, wünscht sich, dass es am Potsdamer Platz eine Touristeninformation gibt – und schickt die Leute zur Bernauer Straße. Dort sei die Mauergedenkstätte viel informativer als am Potsdamer Platz mit wenigen bunten Mauersegmenten, die noch dazu in Ermangelung eines Trevi-Brunnens statt mit Münzen mit Ich-war-hier-Kaugummiresten vollgepflastert sind.

In der „Bernauer“ steigen die Besucherzahlen von Jahr zu Jahr, was man sicher von Ben Wargins Denkstätte „Parlament der Bäume“ nicht sagen kann. Die liegt verschwiegen neben dem Haus der Bundespressekonferenz und ehrt die Opfer der Mauer mit friedhöflichen Grabplatten. Und wir finden noch eine Gedenkstätte: In der Kieler Straße am Humboldthafen, wo Jürgen Litfin für seinen Bruder Günter, der als erstes Maueropfer am 24. August 1961 erschossen wurde, ein Wachturm-Museum eingerichtet hat. Draußen hängt ein schöner Spruch: „Wenn wir die Geschichte vergessen, holt sie uns ein.“

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