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Abschiebung: Hier geboren, aber dem Staat zu teuer

Ausländischen Jugendlichen ohne Job oder Ausbildungsplatz droht die Abschiebung - unabhängig davon, ob sie in Deutschland geboren wurden. Mindestens 850 Euro monatliches Gehalt sind die Voraussetzung für einen Aufenthalt in Deutschland.

Halil M. ist 21 Jahre alt und in Berlin geboren. Seine Eltern sind vor 30 Jahren aus der Türkei eingewandert; der Vater stand am Fließband, seine Mutter verdiente Geld als Putzfrau und Verkäuferin. Halil M. ging hier zur Schule und machte mit 17 Jahren seinen Hauptschulabschluss. Im Februar dieses Jahres drohte ihm die Berliner Ausländerbehörde, ihn abzuschieben. Der Grund: Er hat bislang mit seinem Hauptschulabschluss weder einen Ausbildungsplatz noch eine reguläre Arbeit gefunden und lebt von Hartz IV.

Deshalb weigerte sich die Behörde, seine befristete Aufenthaltserlaubnis zu verlängern: „Ihren persönlichen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet steht das öffentliche Interesse einer sparsamen Haushaltsführung entgegen“, schrieb sie. In Zeiten begrenzter öffentlicher Mittel stehe das öffentliche Interesse über dem persönlichen Interesse.

„Ich war schockiert und hatte totale Panik“, sagt Halil M. Da er für seinen Lebensunterhalt nicht selbst aufkommen kann, habe er ohnehin keine Chance auf eine Erlaubnis, dauerhaft hierzubleiben. Er hatte eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die alle paar Jahre problemlos verlängert worden sei. Und nun sollte „sein Verbleib im Bundesgebiet“ beendet werden?

Rechtsanwältin Berenice Böhlo, die Halil M. vertritt, wirft der Ausländerbehörde vor, dass sie die Interpretation des Aufenthaltsgesetzes bei der Frage des Lebensunterhaltes „massiv und unzulässig verschärft“ habe. Nach ihrer Auslegung des Gesetzes seien in Deutschland aufgewachsene ausländische Jugendliche anders zu behandeln als erwachsene Zuwanderer, sagt Böhlo. Letztere müssen nachweisen, dass sie für ihren Lebensunterhalt aufkommen können. Hier geborene Jugendliche aber sollten leichter eine Erlaubnis zum unbefristeten Aufenthalt erhalten, „das ist der Wille des Gesetzes“.

Wenn ihnen die schon nicht gewährt werde, müsse zumindest die befristete Erlaubnis problemlos verlängert werden, sagt die Anwältin. Das sei bisher bundesweiter Konsens gewesen. „Diese Jugendlichen, die hier aufgewachsen sind, gehören doch zu uns.“ Die Berliner Ausländerbehörde versuche, diesen Konsens aufzubrechen, indem sie im März „neue Anwendungshinweise“ für Paragraf 34 des Aufenthaltsgesetzes erlassen habe. Danach muss bei der Verlängerung der befristeten Aufenthaltserlaubnis bei Jugendlichen ab 16 Jahren neuerdings geprüft werden, ob der Jugendliche einen Schulabschluss hat, sich in einer Ausbildung befindet oder Aussicht auf einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz hat. Wenn nicht, kann die Verlängerung verwehrt werden – wie bei Halil M.

„Bei langjährig hier lebenden Jugendlichen steht mit der Versagung der Niederlassungserlaubnis natürlich nicht eine Abschiebung, sondern die Verlängerung ihres bisherigen Status, also die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis, im Raum“, sagte Ulrich Freise, Staatssekretär in der Innenverwaltung, nachdem die Grünen, die mitregierende Linke und der Flüchtlingsrat die neuen Bestimmungen heftig kritisiert hatten. „Das ist genau das Problem“, sagt Anwältin Böhlo, „die Verlängerung des bisherigen Status steht im Raum. Was ist, wenn die Verlängerung nicht gewährt wird?“ Dann drohe die Abschiebung. Wie sonst solle man es verstehen, dass dem Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse entgegenstehe? Die Innenverwaltung wollte sich zu dem konkreten Fall nicht äußern.

Halil M. hat einen Job als Wareneinräumer bei „Kaufland“ gefunden und verdient 500 Euro im Monat. Die Ausländerbehörde wolle aber einen Nachweis, dass er mindestens 850 Euro netto verdient, sagt er. Die Behörde hat ihm zunächst eine Frist bis Oktober gewährt. Es reiche aus, dass sich jemand um einen Job bemühe, hieß es bei der Innenverwaltung. Halil M. bemüht sich.

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