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© Uwe Steinert

Abschiebung: Mitschüler kämpfen um jungen Iraner

Ein 14-jähriger Gymnasiast soll abgeschoben werden - seine Mitschüler protestieren dagegen. Doch die Chancen stehen schlecht. Für die Behörden stellt eine Ausweisung kein Problem dar.

„Ali soll bleiben“, steht auf den Plakaten, die die Klasse 8G des Heinrich- von-Kleist-Gymnasiums gebastelt hat. Sie haben T-Shirts gedruckt, eine Unterschriftenaktion gestartet und einen Brief geschrieben, den sie heute Innensenator Ehrhart Körting (SPD) vorlegen wollen, weil ihr Klassenkamerad nach Griechenland abgeschoben werden soll.

Ali Derakhshans kurzes Leben hat eine lange Geschichte. Sein Vater flüchtet 2001 aus dem Iran nach Deutschland, wo er politisches Asyl erhält. Alis Mutter und er versuchen, ihm zu folgen, doch es klappt nicht auf offiziellem Weg. Deshalb reisen sie mit einem Visum für Griechenland unerlaubt nach Deutschland weiter. Sechs Monate später werden Ali und seine Mutter in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Griechenland abgeschoben. Das traumatische Erlebnis wird später Angstzustände bei Ali auslösen, die therapeutisch behandelt werden müssen. Ali ist damals sechs Jahre alt. „Wir haben alle geweint, meine Mutter hat schnell ein paar Sachen gepackt. Meinen aufgelösten Vater mussten wir zurücklassen“, sagt der heute 14-Jährige.

Die nächsten Jahre lebt Ali mit seiner Mutter in Griechenland. Zurück in den Iran können sie nicht und nach Deutschland dürfen sie nicht, denn die sogenannte Drittstaatenregelung besagt, dass Flüchtlinge in dem Land leben müssen, das sie bei ihrer Einreise zuerst betreten haben. Der Vater lebt mit einer Duldung in Deutschland. Weil die Mutter sich mit Hilfsjobs über Wasser halten muss und Ali viel auf sich gestellt ist, setzen die Eltern alles daran, dass Ali zurück nach Deutschland darf. Außer seinem Vater leben auch Alis Großmutter, Tanten, Onkel und Cousins dort, alle mit unbefristeten Aufenthaltsgenehmigungen, zum Teil besitzen sie deutsche Pässe.

2008 ist es soweit. Zu Schuljahresbeginn kommt Ali in die 6. Klasse der Athene-Grundschule, danach auf das Heinrich-von-Kleist-Gymnasium. 2010 aber trifft der nächste Behördenbrief ein: Ali soll zurück nach Griechenland zu seiner Mutter. Der Junge hat Angst. Angst davor, sich wieder alleine zu fühlen, weil er dort niemanden außer seiner Mutter hat, die wenig für ihn da sein kann. „Sie wissen gar nicht, was sie uns, ihm und seiner Familie antun. Unsere Klasse ist wie eine große Familie, und jetzt stellen Sie sich mal vor, ein wichtiger Teil würde fehlen“, schreiben die Mitschüler in ihrem Brief an Körting. Alis Klassenkameradin Selena Bakalios ist sauer: „Warum trifft es einen, der sich so super engagiert und gut in der Schule ist? Er hat sich eingelebt, spricht gut deutsch und gehört einfach zu uns.“

Als Ali ihnen seine Lebensgeschichte erzählte, waren seine Klassenkameraden entsetzt. „Unvorstellbar, was er schon erlebt hat. Man hat ihm angemerkt, dass er all die Ängste nicht vergessen hat“, sagt Selena. Während der Aktionsplanung in der Klasse habe sie ihn immer wieder beobachtet. „Ali standen die Tränen in den Augen. Wir haben ihn in den Arm genommen und dann weitergemacht.“

Die Nachricht von der bevorstehenden Abschiebung hat Ali, seine Familie, die Nachbarn und Freunde schockiert. „Es wäre für seine Entwicklung katastrophal, ihn jetzt wieder aus dem Umfeld zu reißen“, sagt Klassenlehrerin Sabine Meiners. Wenigstens sein Abitur solle er hier machen dürfen. Alain Lingnau, der Anwalt, der Ali und seinen Vater seit 2007 vertritt, hat vieles versucht, um einen gesicherten Aufenthalt zu erwirken. Seit zwei Jahren lebt Ali mit einer Duldung in Deutschland. „Deshalb ist es jetzt Sache der Härtefallkommission, die entscheiden muss, ob Ali aus humanitären Gründen hier bleiben darf“, sagt Lingnau.

Doch die Chancen stehen schlecht. Für die Behörden stellt eine Ausweisung nach Griechenland kein Problem dar. Sie interessiert nicht, dass der 14-Jährige erneut aus seinem Umfeld gerissen würde. Deshalb hat auch Kommissionsmitglied Pater Martin Stark vom Jesuitenflüchtlingsdienst Alis Fall in der Härtefallkommission eingebracht. „ Mein Ziel ist, dass er hier bleiben und weiterhin zur Schule gehen kann.“ 

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