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Abschied von David Bowie. Fans hatten Blumen vor dem ehemaligen Wohnhaus des Stars in der Schöneberger Hauptstraße niedergelegt.

© Hanschke/Reuters

Abschied von David Bowie in Berlin: David, where are you now?

Von 1976 bis 1978 lebte David Bowie in Schöneberg, dort gedachten ihm am Montag viele Fans bis in den Abend hinein. In den Hansa-Studios in Kreuzberg entstanden drei seiner besten Alben. Und einen seiner letzten Songs widmete er Berlin.

Nein, nicht ausverkauft, die Deutschlandhalle war mit rund 7000 Besuchern nur „recht gut gefüllt“, vor denen sich aber, so schwärmte der Kritiker des Tagesspiegels, nichts weniger als „ein rockgesellschaftliches Ereignis“ abspielte. „Noch niemals zuvor haben wir eine intelligenter konzipierte und perfekter dargebotene Schau erlebt“, mit der Rasiermesserszene aus Buñuels „Un Chien Andalou“ als Einleitung, Kraftwerk-Klängen als Pausenmusik, perfektem Lichtdesign, und dann erst der Auftritt! „Jede Geste der Hände und des Körpers war angemessen, jede Pose überlegt, jeder Tanzschritt harmonierte mit den Scheinwerferbewegungen.“ David Bowies 90-minütiger Auftritt habe alle Erwartungen übertroffen. „Er ist ein großer, seriöser Künstler.“

So furios, mit einem Konzert seiner dritten, der „Station to Station“-Tour, begann am 10. April 1976 David Bowies jahrzehntelange Beziehung zu Berlin. Ein für die Rockgeschichte so wichtiges Jahr, von dem der Künstler wie die Stadt profitierten: Bowie, da er damals, wohl erst nach der von Februar bis Mai dauernden Tournee, aus Los Angeles nach Berlin zog und mit drei hier produzierten Alben eine seiner wichtigsten kreativen Höhepunkte erlebte; West-Berlin, da die Mauerstadt mit Bowie ein besonders farbiges Element seines bis heute lebendigen, in Büchern und Ausstellungen beschworenen Mythos gewann.

Stilles Gedenken an den Helden

Eines Mythos, der selbst zu Stadtführungen inspirierte. Auf ihnen stößt man auf Orte, die auf den ersten Blick und manchmal auch auf den zweiten so gar nichts Mythisches zu haben scheinen. Aber gerade die West-Berliner Alltäglichkeit war es wohl auch, die Bowie auf der Flucht vor dem Starrummel und seinen Begleiterscheinungen, in diesem Falle der Kokainsucht, den Weg in die Schöneberger Hauptstraße 155, ein unscheinbares Mietshaus in einer alles andere als glamourösen Straße, finden ließ. Vor dem tauchten am Montag bald nach dem Bekanntwerden von Bowies Tod die ersten Fans auf, legten Blumen und Bilder des Verstorbenen nieder, stellten Kerzen auf und verharrten in stillem Gedenken an ihren Helden.

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Bis spät in die Nacht versammelten sich hier teils hunderte Menschen, die ihrem Helden gedachten. Jemand drehte Musik auf, Bowie in Dauerschleife, bald beobachtete auch die Polizei das Geschehen, alles blieb friedlich. Auch nebenan ins "Neue Ufer" kamen viele Bowie-Fans.

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In einer Sieben-Zimmer-Wohnung im ersten Stock, die der Vormieter in tiefem Schwarz hinterlassen hatte und die erst mal gründlich auf Kosten des neuen Bewohners renoviert wurden, hatte Bowie irgendwann im Jahr 1976 Quartier genommen, nach kurzer Zeit beim „Tangerine Dream“-Gitarristen Edgar Froese in der Schwäbischen Straße in Schöneberg.

Iggy Pop als Mitbewohner

Auch Kollege Iggy Pop war in der Hauptstraße miteingezogen – eine ebenso kreative wie nervige Symbiose. Ein Mitbewohner, der immer nur ruckzuck den mit KaDeWe-Leckereien gefüllten Kühlschrank leerfuttert, ohne ihn je wieder zu füllen – auf Dauer ein Unding, und so wurde der hungrige Iggy irgendwann in eine Nachbarwohnung umquartiert, zumal beide ohnehin „sehr gegensätzliche Tagesabläufe“ hatten, wie Bowie 2002 in einem Tagesspiegel-Interview erzählte.

Ein für einen Rockstar ungemein spartanisch eingerichtetes Quartier muss es gewesen sein, als Bettstatt genügten Matratzen – so hat es Eduard Meyer gerade wieder in der RBB-„Abendschau“ erzählt. Drei der wichtigsten Alben Bowies – „Heroes“, „Low“ und Lodger“ – sind in dessen drei Berliner Jahren entstanden, und Meyer, Toningenieur in den Hansa-Studios an der Köthener Straße in Kreuzberg, hat sie produziert.

„Wow, the big hall by the wall“, soll Bowie beim Anblick des Meistersaals, Ort der Aufnahmen, geschwärmt haben. Auch die Grenzer haben offenbar von der Arbeit an den drei Alben profitiert – oder waren genervt, wenn mal wieder die Fenster gen Osten sperrangelweit offenstanden. Ein sich regelmäßig im Schatten der Mauer treffendes und küssendes Pärchen soll die Inspiration zu dem Song „Heroes“ geliefert haben, auch Namen zur Identität der zwei Turteltäubchen wurden in der Vergangenheit genannt – eine der vielen vielleicht nur gut erfundenen Berliner Bowie-Anekdoten, bei Mythen nimmt man es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau.

Lieblingsorte in Berlin

So lässt es sich heute auch nur noch schwer beweisen, ob Bowie tatsächlich einmal auf dem Kurfürstendamm das Auto eines betrügerischen Dealers entdeckte und mit seinem Mercedes aus Wut mehrfach rammte, dann in einem Parkhaus wilde Kreise fuhr, bis der Tank leer war, und wenig später einen neuen Song aufnahm – „Always Crashing in the Same Car“ –, wieder in den Hansa-Studios, die für sein Werk so wichtig wurden. Ein trauriger Zufall, dass deren Chef Sven Meisel, zu „Heroes“-Zeiten zehn Jahre alt, am vergangenen Donnerstag 49-jährig ebenfalls gestorben ist.

Die Tournee 2003 führte David Bowie auch nach Berlin.
Die Tournee 2003 führte David Bowie auch nach Berlin.

© picture-alliance / dpa

Wenn auch die Sache mit dem Dealer-Auto nicht ganz verbürgt ist: Einen eigenen Wagen hatte Bowie schon, einen verrosteten, über zehn Jahre alten Mercedes mit Schiebedach, mit dem er und Iggy Ausflüge kreuz und quer durch die Stadt machten. Auch zum Wannsee zog es ihn oft, dort hatte er ein Lieblingslokal, „in dem wir immer Geflügelleber und solches Zeug aßen.“

Als weitere Lieblingsorte sind überliefert: die Szenekneipe „Anderes Ufer“ in der Hauptstraße, das „Exil“ am Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer und der „Dschungel“ in der Nürnberger Straße, gewissermaßen das „Berghain“ West-Berlins. Auf ziemlich schräge Leute konnte man da stoßen, etwa ein Mädchen mit festgeketteter Ratte auf der Schulter oder zwei glatzköpfige, als Chirurgen verkleidete Typen mit Gummihandschuhen und Stethoskop, wie Bowie noch nach Jahrzehnten zu erzählen wusste.

Doch Berlin war für ihn weit mehr als Arbeit im Tonstudio und Bummel durch die Kneipenlandschaft, bei denen er die Anonymität, das Ausbleiben der ständigen Behelligung durch die Fans genoss. Berlin, das waren für ihn auch die Museen, und besonders die Expressionisten im Brücke-Museum. Da konnte er noch nicht ahnen, dass er später selbst einmal museal werden sollte, als Gesamtkunstwerk 2014 opulent präsentiert im Martin-Gropius-Bau.

Von der Filmgeschichte war er angetan

Berlins Filmgeschichte, besonders die der zwanziger und frühen dreißiger Jahre, hatte es Bowie ebenfalls angetan. So ist es nur konsequent, dass in diesem Frühjahr Bowies Sohn aus erster Ehe, der Regisseur Duncan Jones, den Science-Fiction-Film „Mute“ in Berlin drehen will, eine Art „Casablanca“-Stoff mit Alexander Skarsgård und Paul Rudd in den Hauptrollen.

Nach 1976 ist Bowie noch viele Male in Berlin aufgetreten, so auch 1987 vor dem Reichstag. Das erste Konzert taucht sogar in der Verfilmung von Christiane F.’s Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ auf, freilich nicht in Berlin gedreht. Bowie hatte die Szenen für Regisseur Uli Edel in New York nachgestellt, als Publikum wurden Fans bei einem AC/DC-Konzert hineingeschnitten.

Bowies letztes Album kam an seinem 69. Geburtstag heraus, ein Termin mit Tradition. Denn an seinem 66. hatte er Berlin einen Song samt Video geschenkt, der später ins Album „The Next Day“ aufgenommen wurde: „Where Are We Now?“ Ein melancholisches Beschwören seiner Zeit in Berlin, voller Stationen der Erinnerung, ein wehmütiger Rückblick auf die eigene Vergangenheit und die der nun so ganz anderen Stadt. Fast ein Abschied.

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