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Berlin: Abschied von Kühlungsborn

Reinickendorf will das defizitäre Hansa-Haus loswerden. In dem Ostseebad wirft man dem Bezirk soziale Hartherzigkeit vor

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Im Ostseebad Kühlungsborn hat das Image des Berliner Bezirks Reinickendorf Schaden erlitten. Auslöser ist die Schließung des Hansa-Hauses am 30. September. Das denkmalgeschützte Gebäude in typischer Bäderarchitektur und mit Blick aufs Meer wird seit 1996 vom Reinickendorfer Jugendamt als Freizeit- und Übernachtungsstätte für Kinder, Jugendliche und sozial schwache Familien genutzt.

Bei niedrigen Preisen beherbergt das Hansa-Haus jährlich über 10 000 Gäste, die sich Ferien an der Ostsee sonst kaum leisten könnten. Aber das Haus machte Defizite, die Reinickendorf nicht länger tragen wollte. Die frühere Bezirksbürgermeisterin Marlies Wanjura (CDU) hat zwar immer noch ein Herz für Kühlungsborn, aber Union und Liberale im Bezirk forcierten den Verkauf der Immobilie. Am 8. August endet das Bieterverfahren. Das Grundstück direkt am Strand ist als „Sondergebiet Hotel“ ausgewiesen, also scheint relativ klar, was mit dem Haus nach dem Verkauf geschieht.

Das Angebot eines sozialen Trägers in Berlin („Der Steg“), das Hansa-Haus mit Unterstützung eines finanzstarken Investors und in Zusammenarbeit mit einer zweiten Sozialeinrichtung langfristig weiterzuführen, stieß in Reinickendorf nur bei der Minderheit von SPD, Grünen und Linken auf positive Resonanz – obwohl dieses Modell den Bezirk finanziell komplett entlasten würde. Die Chefin des Hansa-Hauses, Jana Bull, ihr Ehemann, die Köchin und weitere drei Mitarbeiter haben Auflösungsverträge unterschrieben, was sie inzwischen bedauern, und nehmen zurzeit ihren Resturlaub. Die deutliche Einschätzung von Jana Bull: „Wir wurden regelrecht verarscht.“ Das Bezirksamt bot dem seit Jahrzehnten in Kühlungsborn ansässigen Ehepaar an, nach Berlin zu ziehen und in den öffentlichen Dienst des Landes zu wechseln. Voraussichtlich in den zentralen Stellenpool. „Aber das wollten sie nicht“, bestätigte der Reinickendorfer Baustadtrat Martin Lambert (CDU).

Rückendeckung erhielt die Crew des Hansa-Hauses vom Ortsbürgermeister Rainer Karl (bis vor kurzem CDU, jetzt FDP): „Es ist ein Armutszeugnis, Haushaltslöcher auf Kosten der Ärmeren zu stopfen. Jede soziale Verantwortung bleibt hier außen vor.“ Wenn dem Kühlungsborner Bürgermeister so an der Erhaltung der sozialen Einrichtung gelegen sei, könne er ja über einen Bebauungsplan Einfluss nehmen, konterte Lambert in einer Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung kurz vor der Sommerpause. Außerdem gebe es außerhalb Berlins genügend Jugendherbergen und andere Angebote für Schulklassen oder Jugendgruppen, fügte er jetzt hinzu.

FDP-Fraktionschef Andreas Vetter riet SPD und Linken, als Senatsmehrheit über den Liegenschaftsfonds Einfluss auf den Verkauf der Immobilie und die künftige Nutzung zu nehmen. Zweck eines Bieterverfahrens ist allerdings die bestmögliche finanzielle Verwertung einer Immobilie – unabhängig davon, was der Käufer damit machen will. Senat und Abgeordnetenhaus haben sich aus dem Streit bisher herausgehalten. Ulrich Zawatka-Gerlach

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