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Abschied von Tissy Bruns: Robert Birnbaums Ansprache

Lieber Jochen, als Du mich vorige Woche gefragt hat, ob ich wohl bei Tissys Beerdigung ein paar Worte sagen würde, bin ich ein bisschen erschrocken. Schaffst du das, trotz aller Trauer, obwohl du vor Publikum eher scheu bist, und ein bisschen Angst haste auch .

Lieber Jochen, als Du mich vorige Woche gefragt hat, ob ich wohl bei Tissys Beerdigung ein paar Worte sagen würde, bin ich ein bisschen erschrocken. Schaffst du das, trotz aller Trauer, obwohl du vor Publikum eher scheu bist, und ein bisschen Angst haste auch ...

Aber dann hab ich gedacht: Wenn das Tissy hört, dann lacht sie dich aus. Und das geht gar nicht. Ich denk’ mir ja mit meinem naiven Kinderglauben, dass Du heute hier irgendwie dabei bist. Und vor Dir, Tissy, mag ich mich nicht blamieren.

Es klingt vielleicht merkwürdig, aber dieses Nicht-Blamieren-Wollen ist in den Jahren, in denen wir zusammen arbeiten durften, für mich immer ein starker Impuls gewesen. Wenn Du morgens in unser Büro im Pressehaus kamst –

ich muss das beschreiben für alle, die nicht dabei waren, also: Alle Mann und Frau versammelten sich in Deinem Zimmer, wer keinen Stuhl mehr fand, nahm die Fensterbank; einer, meistens Stephan, holte erst noch ein Tablett mit dem besonders guten Kaffee aus dem Foyer.

Dann kam zuerst der Klatsch aus dem Viertel an die Reihe und die Talkshow vom Abend; erst danach die so genannten ernsthaften Themen.

Und wenn es dabei ans Debattieren ging, dann war mir immer klar: Du kannst neben, erst recht gegen Tissy nur bestehen, wenn du mit Herz und Verstand ganz bei der Sache bist.

Sie ist es nämlich auch.

Mit dem Verstand war sie’s sowieso, das brauche ich keinem hier zu sagen.

Aber eben genau so mit dem Herzen. Deshalb gehörte der Klatsch und Tratsch zu unserem morgendlichen Pflichtprogramm. Politik wird von Menschen gemacht, mit all ihren Stärken und Schwächen, mit Wichtigtuerei und Eitelkeit und Leidenschaft und Mut.

Für Dich, Tissy, war dies Menschliche kein Beiwerk und erst recht keine billige Gelegenheit, sich verächtlich über die da oben zu erheben, sondern zutiefst mit dem Politischen verwoben. Du hast ja sogar offensichtliche politische Fehler verteidigt – wenn, ja wenn sie nur aus Leidenschaft passiert waren. Politik als das Bohren dicker Bretter – na klar, schon auch. Aber manchmal, fandest du, muss einer kurzerhand die Planke mit der Axt durchhauen!

Wenn ich sagen sollte, worauf der Respekt beruht, mit dem Dich unsere Gegenüber in der Politik stets behandelt haben – ich glaube, da liegt ein Grund. Sie haben gemerkt, dass Du sie umfassend respektierst, von Gleich zu Gleich und nicht als Amt und Würden oder als Zitatelieferant.

Jemand, der heute auch hier ist, hat das so beschrieben: Sie hat meine Partei wirklich sonderbar gefunden – aber sie war trotzdem immer so nett!

Wir sind auch in unseren Debatten nicht immer einer Meinung gewesen, oh nein. Aber darauf kam es nie an. Wichtig war etwas anderes: Dass man sich bei Dir darauf verlassen konnte, Du meinst das ernst, was Du sagst. Das ist nicht bloß ein intellektuelles Spiel, auch nicht die Einflüsterung von diesem oder jenem, auch nicht die gerade herrschende Meinung oder - aus purer Masche - deren Gegenteil.

Sondern das ist etwas selbst Gedachtes, etwas Eigen-Sinniges im Sinne des Wortes. Dahinter steckte Gedankenarbeit und Lebenserfahrung.

Mit Dir zu streiten und zu räsonnieren und ganz nebenbei das eigene Argument zu schärfen - Tissy, es war ein Privileg und eine Freude.

Dein Ansporn fehlt uns.

Und noch etwas wird blasser ohne dich.

Als ich dich kennen lernte, waren wir und die Politik noch im kleinen Bonn am Rhein. Es war da beileibe nicht alles besser als hier an der Spree; wir sind ja beide auch aus voller Überzeugung umgezogen.

Aber es gab, vielleicht begünstigt durch die Enge in der Raumkapsel Tulpenfeld, doch so etwas wie ein gemeinsames Verständnis davon, was politischen Journalismus in seinem Kern ausmacht.

Wer das noch erlebt hat, gehört bis heute einer unsichtbaren Bruder- und Schwesternschaft an. Ihre Mitglieder kennen die Regeln. Sie teilen ohne große Worte eine Grundvorstellung davon, was politisch bedeutsam ist und was nicht ganz so. Sie haben auch eine Idee von der gesellschaftlichen Verantwortung unseres Berufsstands.

Du hast unsere Fahne weithin sichtbar hochgehalten, jeden Tag.

Deine Leidenschaft fehlt uns.

Jetzt begleiten wir dich noch das kleine Stück auf Erden.

Dann gehen die Politiker unter uns wieder an ihre Pflicht, zu regieren oder zu opponieren.

Und wir werden sie weiter dabei betrachten und den Menschen davon erzählen.

Unsere Trauer wird sich langsam legen, weil auch das zum Menschlichen gehört.

Aber manchmal wird sich der eine oder andere von uns fragen: Was Tissy dazu gesagt hätte?

Wir werden natürlich nicht darauf kommen, weil Du mit deiner ganz eigenen Lebenserfahrung und deinem sehr eigenen Kopf immer noch ein bisschen anders getickt hast als wir.

Aber ich glaube, sich die Frage zu stellen wird trotzdem ganz nützlich sein, für uns selbst und für die Genauigkeit unserer Gedanken.

Schließlich wollen wir uns vor Dir nicht blamieren. Auch dafür, Tissy, danken wir dir.

Robert Birnbaum ist Reporter im Parlamentsbüro des Tagesspiegels.

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