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Türkische Berliner stehen vor dem Generalkonsulat in der Heerstraße Schlange, um am Referendum teilzunehmen.

© REUTERS

Abstimmung über türkische Verfassungsreform in Berlin: Wo Gegner und Befürworter des Referendums abstimmen

Erdogans Gegner treffen auf dessen Anhänger: Im türkischen Generalkonsulat an der Heerstraße in Westend stimmen Berlins Türken über die umstrittene Verfassungsänderung ab.

Haci Gün trägt einen weißen Bart, ist Kreuzberger und ein Mann, der es nicht darauf ankommen lässt. Als die Security ihn am Montag um 9 Uhr endlich auf das Gelände des türkischen Konsulats lässt, hat er bereits zwei Stunden an der Heerstraße in Westend totgeschlagen. Dann wird er belohnt: „Ich war der erste Berliner, der sein Kreuz gemacht hat!“

„Evet“ oder „Hayir“ – ja oder nein? 139.000 in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern lebende wahlberechtigte Türken können seit Montag im türkischen Generalkonsulat über die umstrittene Verfassungsreform Erdogans abstimmen. Gün hat sein Kreuz auf das „Evet“ gesetzt, „um die Türkei vor ausländischen Mächten und PKK-Terroristen zu schützen“, sagt er. Will Gün dafür eine Verfassungsreform in Kauf nehmen, die die Macht in der Türkei vor allem auf den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan konzentriert? „Tut sie nicht. Das ist Quatsch. Und am Ende wird nur das Volk entscheiden, wen es an der Spitze sehen möchten“, kontert er. Gün ist sich sicher: Das Land brauche eine Verfassung à la Turca. „Die Gesetze von von heute sind Werke von Putschisten oder Kopien aus Frankreich.“

"Es werden Wahlbeobachter aus verschiedenen Parteien eingesetzt"

Die Schlange vor den acht weißen Containern, in denen sich je zwei Wahlkabinen befinden, sind am Montagmorgen lang. Vermutlich werden am ersten Wahltag mehrere Hunderte ihre Stimme abgegeben haben. Außenstehenden kommt es vor, als ob mehr Erdogan-Fans sich auf den Weg in die Heerstraße gemacht hätten. Das sage aber gar nichts aus, ist sich Kenan Kolat sicher. „Unsere Wähler sind eher gemütlich, die werden noch kommen“, sagt der Berliner Landesvorsitzende der türkischen Oppositionspartei CHP.

Der 58-Jährige war bis 2014 Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), trat nach einem Eklat um Verbandsgelder 2014 aber zurück. Wahlmanipulation sei seiner Meinung nach kein Thema in Berlin: „Es werden Wahlbeobachter aus verschiedenen Parteien eingesetzt. Ich gehe im Allgemeinen nicht davon aus, dass wir Probleme mit falschen Stimmen haben werden.“ Kolat rechnet damit, dass die Reformgegner am Ende beim Referendum mit 55 Prozent der Stimmen siegen werden.

Seit Montag stimmen Berlins Türken über die umstrittene Verfassungsänderung ab.
Seit Montag stimmen Berlins Türken über die umstrittene Verfassungsänderung ab.

© Reuters/ Bensch

HDP-Politikern wird immer wieder Unterstützung in der PKK vorgeworfen

Vor dem Generalkonsulat halten einige Frauen und Männer Plakate hoch: „Sechs Millionen Wählerinnen der HDP an der Wahlurne nicht vertreten“ steht auf einem. Die Protestler wollen damit auf die pro-kurdische Partei aufmerksam machen, von deren Mitgliedern niemand in der Wahlkommission sei. Zudem sitzen viele Politiker der HDP in der Türkei im Gefängnis. HDP-Politikern wird immer wieder Unterstützung und Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen, die in der Türkei, aber auch in Deutschland, als Terrororganisation eingestuft ist. „Wir mussten uns heute bereits so einiges von den Ja-Wählern anhören“, sagt Remzi U. „Mir wurde vorgeworfen, auf die Berge zu gehen, um an der Seite der PKK zu kämpfen“, sagt sie, während sie ein Plakat hochhält.

Weit besser ist die Laune an diesem Tag bei Senol Akkaya. Der 56-jährige Kreuzberger trägt Sonnenbrille und zieht genüsslich an seiner Zigarette. Er hat bei dem Referendum für Erdogan gestimmt, sein Gegenüber, ein 69-Jähriger aus Charlottenburg, hat hingegen Nein angekreuzt. Es kommt zu einem freundschaftlichen Streitgespräch zwischen den beiden Männern. Akkaya, der Ehrenmitglied des deutsch-türkischen Vereins Türkiyemspor ist, wird gefragt, warum er hinter Erdogan steht. „Stell dir das so vor, mein Freund: Ich steige in ein Auto und gucke mir den Fahrer an. Wenn ich sehe, dass er gut fährt, dann kann ich mich gemütlich in den Rücksitz lehnen und die Augen schließen.“ Das will sich der Charlottenburger nicht gefallen lassen und kontert mit einer Frage: „Und was ist, wenn die Bremsen des Fahrzeugs kaputt sind?“

Akkaya muss nicht lange überlegen: „Unser Fahrer fährt seit 15 Jahren unfallfrei“, sagt er — und spielt damit auf die Jahre an, seit Erdogans AKP die Türkei regiert.

"Hier kann es zu Streit im privaten Umfeld kommen"

Wie unterschiedlich sich die Politik der AKP auf die Türken in der Türkei auf der einen und die Türken in Deutschland auf der anderen Seite auswirkt, hat die deutsch-türkische Radio- und Fernseh-Journalistin Sirin Manolya Sak in den vergangenen Jahren immer wieder beobachtet. Die 31-Jährige lebte und arbeitete bis vor einigen Monaten für zweieinhalb Jahre in Istanbul: „In der Türkei sind die Menschen alleine schon aufgrund von geschäftlichen Interessen dazu gezwungen, sich gegenüber Fremden so unpolitisch wie möglich zu verhalten oder sogar so zu tun, als ob man zum Beispiel die Politik der Regierung gut heißt“, sagt Sak. In Deutschland habe der Konflikt hingegen eine andere Qualität. „Hier kann es zu Streit im privaten Umfeld kommen, aber ernste Konsequenzen für die Deutsch-Türken hat das am Ende nicht.“

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