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Abwanderung: Türkische Aufsteiger streben gen Heimat

Berlin braucht seine Migranten, um den Fachkräftemangel abzumildern, wie eine aktuelle Studie belegt. Doch gerade die gut ausgebildeten unter ihnen kehren der deutschen Hauptstadt häufig den Rücken.

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Immer mehr gut qualifizierte Türken verlassen Berlin und suchen ihr berufliches Glück in der Heimat ihrer Vorfahren. Das belegen Zahlen des Amts für Statistik. Dabei benötigt Berlin gerade diese Kräfte dringend – falls nicht sofort, dann spätestens in einigen Jahren. Das wiederum geht aus der Fachkräftestudie Berlin-Brandenburg hervor, die von Prognos im Auftrag der Sozialministerien beider Länder erstellt wurde. Danach können schon 2015 rund 273 000 Arbeitsplätze nicht besetzt werden, weil es an geeignetem Personal fehlt. Zu der Studie gab es am Donnerstag eine Expertenanhörung im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses. Dabei zeigte sich erneut: Obwohl Berlin und Brandenburg den Fachkräftemangel bedrohlich auf sich zukommen sehen, wird nicht sehr viel unternommen, um diese Entwicklung zu stoppen. Migranten sind da nur ein Aspekt.

Eine Empfehlung vieler Experten lautet, Migranten besser in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Doch die fühlen sich hier nicht erwünscht. „Viele gehen nach dem Studium zurück“, bestätigt Safter Cinar vom Türkischen Bund. „Es hat etwas mit der Atmosphäre hier zu tun, auch schon vor Sarrazin, es ist ein Gefühl des Nichtgewolltseins.“ Zeitgleich rollt die Türkei ihren hoch qualifizierten Landsleuten den roten Teppich aus, mit Erfolg.

Die Türkei wirbt um gut ausgebildete junge türkische Akademiker und Wissenschaftler. Mithilfe von EU-Unterstützungsprogrammen seien bisher rund hundert Forscher dazu gebracht worden, zumindest vorübergehend wieder in die Türkei zu kommen, um dort zu arbeiten, teilte der staatliche Wissenschaftsrat Tübitak mit. Im Dezember will Tübitak in den USA mit Veranstaltungen unter dem Motto „Destination Turkey“ weiter versuchen, den „brain drain“ der vergangenen Jahrzehnte rückgängig zu machen.

Der CDU-Integrationspolitiker Kurt Wansner bestätigt das. „Ich fahre jedes Jahr nach Istanbul, dort sind die Aufstiegsmöglichkeiten gut, und man verdient gut“, so Wansner. „Es ist für uns eine Katastrophe, gerade die qualifizierten jungen Leute zu verlieren.“ Allerdings meint Wansner auch, die jungen Migranten seien etwas überempfindlich. „Man muss auch mal eine Absage vertragen können, da ist man nicht gleich diskriminiert“, so Wansner. Im öffentlichen Dienst würden Migranten sogar eher bevorzugt behandelt.

Einer Studie der OECD zufolge ist es allerdings tatsächlich so, dass Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt bei gleicher Qualifikation schlechtere Aussichten haben, überhaupt zum Gespräch eingeladen zu werden.

Das bestätigt Elke Breitenbach von der Linksfraktion. „Es gibt eine strukturelle Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt“, so Breitenbach. Schlimm sei auch, in welchem Umfang die Jobcenter Potenzial einfach brachliegen ließen. „Ein Beispiel: Wir haben viel zu wenig Erzieher in Berlin, aber eine russische Grundschullehrerin wird hier als ungelernt geführt, weil ihr Abschluss nicht anerkannt wird.“ Was sie könne, werde überhaupt nicht gewürdigt. Auch dazu gibt es eine Studie. Am Ende landen demnach auch Topleute als Ungelernte in Hartz IV.

Papier wird zu dem Thema kistenweise produziert, es gibt Studien über Studien. „Aber getan wird nichts“, kritisiert Wansner. „Die Politik muss auf die Wirtschaft zugehen, damit mehr Migranten zum Beispiel Ausbildungsplätze angeboten werden können.“ Während es in Berlin eher darum geht, die schwierigen Fälle überhaupt arbeitsfähig zu machen, haben die aufstiegswilligen Türken durch ihre deutsche Prägung im Ausland klare Vorteile: „Deutsche Gründlichkeit“, sagt eine junge Frau. „Man gilt als fleißig, gut ausgebildet, pünktlich, und dazu kann man noch Türkisch.“

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