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Adel berichtet (18): Tontauben über Charlottenburg

Stefan Stuckmann erzählt, wie unser Redaktionspraktikant Cedric zu Guttenberg die Stadt erlebt.

Ich weiß nicht, ob Sie mitgezählt haben, aber mein Jungdackel Taxi und ich hatten diese Woche unser zehnwöchiges Jubiläum. Ehrensache, dass ich Taxi nicht einfach eine Packung Früchtetee „Ibiza“ schenke wie letztens dem Volontär zur Hochzeit. Nein, zur Feier unserer Freundschaft muss es etwas ganz Besonderes sein: Es gibt ja diese Orte, die in der Weltgeschichte nur kurz existieren und dann vom Lauf der Dinge wieder weggewischt werden: Kuba unter Castro, Las Vegas unter Frank Sinatra, und private Ferienwohnungen innerhalb des S-Bahnrings.

Als ich gleich nach Feierabend mit Taxi das Mietapartment hoch über Charlottenburg betrete und ihm die Augenbinde abnehme, rennt er sofort aufgeregt bellend auf die Dachterrasse, um dem ganzen Viertel zu erzählen, wie begeistert er von meinem Geschenk ist. Dabei hat er das Schlagzeug noch gar nicht entdeckt! Unter einem Vorwand locke ich ihn ins Nebenzimmer und lüfte das goldene Tuch. Jaulend springt Taxi auf den kleinen Hocker, beißt die rote Schleife von der Snare-Drum, und schon geht's los: Rhythmisch noch unsicher, aber mit kräftigen Bewegungen trommelt er den Anfang von „Seven Nation Army“. Eine kleine Gruppe spanischer Fußballfans unten auf der Straße stimmt sofort mit ein: „Da-dadada-dadaa-daaa!“ Gut, dass ich noch das Megafon von der Fanmeile im Rucksack habe: In fließendem Spanisch lade ich die muchachos von der Dachterrasse aus auf eine cerveza ein. Von wegen kulturlose Fußballfans: Die Jungs entpuppen sich als traditionelle katalanische Stepptanzgruppe, und wie es der Zufall will, haben sie drei Paar Ersatzschuhe dabei – genug, um Taxi und mir eine zweistündige Einführung zu geben. Sogar der Nachbar aus der Wohnung unter uns klopft mit! Danach schauen wir gemeinsam den Watergate-Film mit Robert Redford. Ich drehe den Ton extra ein bisschen lauter, damit die Spanier draußen im Whirlpool auch noch was mitbekommen. Weil wir die Spannung nicht aushalten, hüpfen Taxi und ich währenddessen auf dem großen Doppelbett.

Als der Abspann läuft, versammeln sich die Spanier um Taxi und sein Schlagzeug, um Fangesänge für’s EM-Finale zu üben. In einem günstigen Moment stehle ich mich davon, auf die Dachterrasse. Leise schließe ich die Glastür, dann baue ich das Tontaubenkatapult auf, das ich bei Ebay ersteigert habe. Als die ersten Scherben zu Boden fallen und am Horizont der Fernsehturm im Nachthimmel leuchtet, lege ich zufrieden das Gewehr beiseite. Für so was hat man zu Hause gar keine Ruhe.

Hochachtungsvoll,

Ihr

Cedric

Stefan Stuckmann

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