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Adel berichtet (7): Keine Manieren

Stefan Stuckmann zeichnet auf, wie unser Redaktionspraktikant Cedric zu Guttenberg die Stadt erlebt.

Diese Woche hatte ich Streit mit einer Kollegin. Als ihr siebenjähriger Sohn zu Besuch war, hatte ich versehentlich die Abschrift der letzten Senatssitzung offen auf dem Schreibtisch liegen lassen. Am Tag darauf hat er dann auf der Geburtstagsfeier seiner Oma versucht, dem Tony-Marshall-Double „konstruktiv in den Arsch zu treten“ und danach das Kuchenbuffet mit Kraftausdrücken belegt, die ich mich hier nicht wiederzugeben traue. Und das nur, weil die Pumuckl-Torte nicht geliefert wurde! Doch statt darüber nachzudenken, ob es wirklich gut war, den Kleinen auf eine staatliche Grundschule zu schicken, gibt die Mutter mir jetzt die Schuld. Ich hätte das Kind mit Gossensprache in Kontakt gebracht. Als wenn ich irgendwas dafür könnte, dass gewisse Volksvertreter im Abgeordnetenhaus einen Wortschatz haben wie eine offene Hose.

Die Grünen sehen den mangelnden Respekt der Koalition vor der Opposition als Grund für den harschen Umgangston, wobei man hier natürlich fragen muss, inwiefern Montessori-Geschädigte über Diskussionsformen jenseits von Familienaufstellung und Ausdruckstanz überhaupt urteilen können. Seien wir ehrlich: An dem erbarmenswerten sprachlichen Zustand des Senats sind natürlich eindeutig die Piraten schuld. Es ist doch kein Wunder, dass eine Volksgruppe, die man jahrhundertelang hauptsächlich mit einem Messer zwischen den Zähnen angetroffen hat, sich heute auf Kurznachrichten und Kraftausdrücke spezialisiert.

Am Nachmittag fahre ich raus nach Tegel, um mich im Starbucks mit meiner alten Deutschlehrerin Frau Dr. Helga Klawitter zu treffen. Ich kenne Helga als verlässlich autoritären Fels in der stürmischen Brandung der Reformpädagogik, als jemanden, der noch ganz andere Früchtchen auf den rechten Weg zurückgebrüllt hat. Ich zeige ihr ein Video von der letzten Senatssitzung und erkläre, was mir vorschwebt: ein Strafenkatalog, Sprachkurse für Piratenpolitiker und virtuelle Pranger für Uneinsichtige. Sie winkt ab. Erfrischend fände sie diese Jungs. Seitdem sie pensioniert sei, würde sie öfter mal mit diesem netten Sozialarbeiter von nebenan essen gehen, und der leitet doch dieses Hip-Hop-Projekt...

Ich tue so, als müsste ich einen Anruf annehmen und flüchte in die Flughafenbar. Mit einem Jim Beam in der Hand schaue ich auf das Rollfeld, als mir in der Spiegelung der Fensterscheibe ein Tony-Marshall-Double drei Stühle weiter auffällt. Traurig nicken wir uns zu. Das ist einfach nicht mehr unsere Zeit ...

Hochachtungsvoll,

Ihr

Stefan Stuckmann

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