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Berlin: Adieu tristesse!

Graue Winter sind schlimmer als kalte. Wie man dem Schmuddelwetter entkommen kann

Ein normaler Berliner Winter geht so: Die Kälte schmerzt, der Wind schmerzt, Glatteis kann auch verdammt weh tun. Aber hinterher weiß man zumindest, was man geschafft hat. Ein überstandener Winter in Berlin macht sich gut in jedem Lebenslauf. Dieses Jahr ist es doppelt schlimm: Für das triste Schmuddelwetter wird man nicht einmal bemitleidet. Zum Glück gibt es Wege, dem Grau zu entkommen:

Die WM, unser aller Liebling, ist längst vorbei, aber das Public Viewing geht weiter, zumindest in Moabit in der „Buchkantine“, einem Zwitter aus Buchladen und Café. Jeden Sonntag pünktlich um 20.15 Uhr rollt dort eine Leinwand vor den Regalen herunter – Zeit für „Tatort“ oder „Polizeiruf 110“. „Fernsehkrimi mit Kino-Faktor“ beschreibt Geschäftsführer Frederik Herbers das Konzept der Veranstaltungsreihe. Scheint aufzugehen: Rund 30 Leute sitzen pro Abend auf den roten Bänken. Insgesamt ein leichter Frauenüberhang, vor allem wenn Dominic Raacke, der einen der Berliner Kommissare mimt, dran ist. „Am beliebtesten ist der Münsteraner Tatort“, sagt Buchhändlerin Britta Beecken. Wenn der laufe, tue man gut daran zu reservieren. Aber was kann ein Platz in der „Buchkantine“, was die Couch zu Hause nicht vermag? Hier könne man nicht zum Kühlschrank gehen, sagt ein Gast, offenbar mit Bauchansatz-Problem. „Viel besser: Hier besorgt das jemand anders für mich!“, ruft ein anderer. Wer hier laufen muss, ist Herbers. Gewöhnlich steigt er mit einer halben Stunde Verspätung in die Ermittlungen ein, bis dahin serviert er Linsensuppe, Weißwürste und vor allem: Bier. Das typische „Tatort“-Getränk, sagt er.

Sie sehen aus wie das perfekte Mordinstrument, diese Stricknadeln, mit denen Tamara Boltzmann so freudig in die Luft stakt. „Mit denen kommst du durch jede Wolle“, sagt sie. Boltzmann ist ganz in ihrem Element, wie sie da im Wollcafé in Schöneberg vor einem Regal mit Exotenwolle wie Volare, Fortissima und Daisy steht. Dabei kommt sie ursprünglich aus einer ganz anderen Branche: Sie ist Bauingenieurin und hat beispielsweise an den Gropiuspassagen in Neukölln mitgearbeitet. So auch die Mitinhaberin des Wollcafés, Simone Wieteck-Barthel. Die findet ihren jetzigen Beruf viel besser als den früheren: „Von Arbeits wegen: Stricken und Kaffeetrinken, das ist doch perfekt“.

Die beiden Frauen wirken, als könne man sich selbst dann noch vertrauensvoll an sie wenden, wenn man von einem gestrickten Ganzkörper-Elefantenkostüm in Altrosa träumt. Womöglich würden sie einem aber auch raten, etwas kleiner anzufangen, mit Socken beispielsweise. Wie man die strickt, bringen sie einem für 15 Euro im Laufe von drei Terminen, dem Bündchen-, dem Fersen- und dem Spitzentermin, bei.

Wenn man es nicht nur am Fuß, sondern auch an der Hand warm haben will, dann ist man in der Mamsell in der Schöneberger Goltzstraße gut aufgehoben. Einerseits ist das Mamsell ein Café, die Inhaberinnen Stefanie Strack und Iris Henderkes servieren Latte Macchiato und Kuchen, bekannt ist der Laden für seine cremige Trinkschokolade. Wer die trinkt, hat kalorientechnisch wahrscheinlich für den ganzen Tag ausgesorgt – jedenfalls schmeckt sie so. Das Besondere: In einem Nebenraum verkauft das Mamsell selbstgefertigte Filzhandschuhe. Diese werden auf Wunsch auch maßgeschneidert.

Mit Wollsocke und Filzhandschuh ausgestattet, kann man dann warten und hoffen, dass der echte Berliner Winter doch noch kommt. In der letzten Januarwoche soll es Schnee geben, sagt der Wetterdienst. Wahrscheinlich. Falls es so kommt: am besten ab in die Rummelsburger Bucht in Friedrichshain. Dort wird es, wenn es friert, wie im letzten Jahr wieder einen Schlittschuhverleih geben, dazu Fackeln auf dem Eis und Musik. Hoffentlich läuft dann „Wenn der Winter kommt“, ein Lied von der Berliner Band „Element of crime“. Darin heißt es: „Seit ich dich kenne, mag ich es gerne, wenn der Winter kommt, da wird’s früher dunkel.“ Auch ein guter Grund, ein Winterfreund zu werden.

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