zum Hauptinhalt

Berlin: Ämter wollen jetzt schneller eingreifen

Konsequenteres Vorgehen, wenn Schüler schwänzen Sozialverbände: Lage in Berlin höchst dramatisch

Von Sandra Dassler

Ein elfjähriges Mädchen in Reinickendorf, zwei drei- und siebenjährige Jungen in Spandau, drei vier- bis fünfzehnjährige Geschwister in Lichtenberg – ist Berlin die Hauptstadt der verwahrlosten Kinder? Ja, sagen die Berliner Wohlfahrtsverbände und verweisen auf Statistiken der Kripo und der Jugendämter. Danach enfallen mehr als 13 Prozent der aufgedeckten Kindesmisshandlungen sowie 22 Prozent aller angezeigten Fälle von Kindesvernachlässigung in Deutschland auf Berlin. Die Jugendhilfestatistik des Bundes weist aus, dass sich die Zahl der bekannt gewordenen Kindesmisshandlungen in der Hauptstadt von 226 im Jahr 1993 auf 502 im Jahr 2003 erhöht, also mehr als verdoppelt hat – Tendenz ungebrochen.

Es waren wohl weniger diese seit Wochen bekannten Zahlen als die erwähnten spektakulären Fälle, die jetzt den Senat und die Berliner Bezirke zum Handeln trieben. Gestern einigten sie sich unter anderem auf ein konsequenteres und gemeinsames Vorgehen, wenn Kinder längere Zeit dem Unterricht fern bleiben. Bis Mitte Januar soll eine Arbeitsgruppe aus Volksbildungs- und Jugendstadträten einen detaillierten „Maßnahmeplan“ erarbeiten, der auflistet, wer wann was unternehmen muss, wenn Kinder nicht in der Schule erscheinen“, sagte der Sprecher der Bildungsverwaltung, Kenneth Frisse. Die Behörden müssten künftig schon bei geringsten Anzeichen von Verwahrlosung und Missbrauch einschreiten, kündigte Bildungssenator Klaus Böger (SPD)an.

Das können sie eigentlich schon immer, meint der Neuköllner Volksbildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD). Schließlich garantiere das Grundgesetz zwar die Unverletzlichkeit der Wohnung – aber ausdrücklich nicht „bei Gefahr im Verzuge“. Wenn in Neukölln Kinder trotz mehrfacher Aufforderungen an die Eltern nicht zum Unterricht erscheinen, verschaffen sich Schimmangs Mitarbeiter mit Hilfe der Polizei Zutritt zur Wohnung, sagt Schimmang: „Das passiert ungefähr 30 bis 40 Mal im Jahr.“ Die gleiche Möglichkeit hätten auch Jugendamtsmitarbeiter. Die werden oft mit dem Vorwurf konfrontiert sie agierten zu langsam, zu verständnisvoll oder gar nicht auf Hinweise.

Polizisten und Kinderschutzorganisationen beklagen beispielsweise, dass Mitarbeiter von Jugendämtern meist nur zu vorher angemeldeten Terminen in die Wohnungen kommen, was den Eltern die Möglichkeit gebe, Anzeichen für Missstände rechtzeitig zu beseitigen. Die Jugendstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg, Sigrid Klebba (SPD), weist das zurück: „Wenn es konkrete Hinweise auf Gefährdung der Kinder gibt, melden wir uns nicht vorher an“, sagt sie. Allerdings sollten Jugendamtsmitarbeiter den Betroffenen in erster Linie helfen. Dabei dürfe die Kontrolle natürlich nicht zu kurz kommen. Aufmerksame Nachbarn, Freunde, und Lehrer seien aber ebenso wichtig.

Zur Startseite