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Große Parteien stehen ganz oben, dahinter kommen die Kleinen. Momentan ist unklar, ob die Kleinparteien zur Abgeordnetenhauswahl antreten können.

© IMAGO

Änderung des Berliner Wahlgesetzes: Warum kleine Parteien wegen Corona kaum Chancen auf die Abgeordnetenhauswahl haben

Kleinparteien drängen wegen Corona auf Änderungen im Partei- und Vereinsrecht. Wegen Präsenzpflichten droht ihnen schlimmstenfalls der Ausschluss von der Wahl.

Die Zeit drängt. Im Januar sollten die „Volt“-Mitglieder ihre Kandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im September aufstellen. Wegen der Pandemie geht das nun nicht. Die Partei teilt das Schicksal vieler anderer kleiner Parteien wie der Piraten, der „Partei“ oder „Radikal:Klima“. Läuft es schlecht, fehlt ihnen die Planungssicherheit für die Teilnahme an der Wahl.

Der Grund ist das Berliner Wahlrecht. Es schreibt vor, wie überall in Deutschland, dass Nominierte für Bezirks- oder Landtagswahlen auf Ortsterminen gewählt werden müssen. „Wir kleinen Parteien werden dadurch in eine Situation gebracht, in der wir uns zwischen Sicherheit und politischer Teilhabe entscheiden müssen“, sagt der Co-Landesvorsitzende von „Volt“, Steffen Meyer. Die pro-europäische Bürgerpartei gibt es seit 2017.

Den kleinen Parteien fehlt nicht nur das Geld für ausreichend große Räume für Versammlungen mit Abstandsregeln und Hygienekonzept. Sie stehen auch unter immensem Zeitdruck: Alle Parteien, die nicht bereits im Abgeordnetenhaus sitzen, müssen bis Juli Unterstützerlisten vorlegen, damit sie überhaupt an der Wahl teilnehmen können. Das ist während einer Pandemie, in der alle im besten Fall zu Hause bleiben sollen, auch nicht ganz einfach.

Das nächste Problem: Unterstützer kann nur sammeln, wer auch Kandidaten aufgestellt hat. Ein Teufelskreis. Auf Bundesebene wurde dieses Problem schon im Oktober 2020 angegangen. Dort können parteiinterne Wahlen größtenteils digital oder zumindest per Briefwahl erfolgen. Das Bundesinnenministerium müsste das im Notfall bestimmen. In Berlin gibt es noch kein Gesetz – allerdings wird in der Regierungskoalition ein entsprechender Entwurf der SPD-Fraktion diskutiert.

Sven Kohlmeier, rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion, plant, eine bis zum 31. Dezember 2021 befristete Regelung. Bis dahin sollen Parteien ihre Wahlvorschläge digital machen dürfen, auch die Zahl derjenigen, die über die Kandidaten entscheiden, soll verringert werden. So könnten Kandidaten von einer Delegiertenversammlung gewählt werden, statt von einer viel größeren Mitgliederversammlung. Die Zahl der Delegierten könnte laut des Gesetzentwurfs verringert werden. Weniger Wahlvolk, weniger Viren.

Die gesamte Wahl könnte als Briefwahl stattfinden

Auch die Zahl der Unterstützer-Unterschriften soll der Senat im Notfall von bislang 2200 verringern können. Die Änderung betrifft auch die Abgeordnetenhauswahl selbst: Zur Not soll die Berliner Landesregierung dann sogar bestimmen können, die Abstimmung im September als reine Briefwahl stattfinden zu lassen. Das wäre letztlich wohl Aufgabe der Innenverwaltung, bei der auch die Landeswahlleiterin angesiedelt ist.

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Die SPD-Fraktion hat die Änderungen am Landeswahlgesetz am Dienstag auch beschlossen, die Linksfraktion hat Zustimmung signalisiert. Nur bei den Grünen gibt es Skepsis gegen den SPD-Entwurf. „Eigentlich sind sich alle einig, dass wir diese Gesetzesänderung brauchen, um den vielen und auch kleineren Parteien in Berlin das Leben für die Wahlen nicht noch schwerer zu machen“, sagte Kohlmeier dem Tagesspiegel.

SPD-Politiker Sven Kohlmeier ist der rechts- und digitalpolitische Sprecher seiner Fraktion.
SPD-Politiker Sven Kohlmeier ist der rechts- und digitalpolitische Sprecher seiner Fraktion.

© promo

Die Grünen hätten Gespräche darüber mehrfach verschoben. „Die tun immer als digitale Vorreiterpartei, sind aber nicht in der Lage so eine völlig unkomplizierte Änderung mitzutragen“, sagte Kohlmeier. Die Grünen sehen das naturgemäß etwas anders.

Der Gesetzesentwurf lasse „handwerklich zu wünschen übrig“, sagte Daniel Wesener, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, die Wahlen müssten geheim und manipulationssicher sein. Die Grünen hätten sich über die Schwierigkeit, digitale Wahlen wirklich geheim stattfinden zu lassen, auch schon mit dem "Chaos Computer Club" ausgetauscht.Er forderte die Innenverwaltung auf, erstmal entsprechende Standards in der Datensicherheit zu definieren.

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Rechtsanwalt Kohlmeier betont, dass selbst Aktiengesellschaften mittlerweile geheim und digital wählen, die entsprechende Technik längst vorhanden sei. Im Vereinsrecht würden digitale Wahlen bereits seit März 2020 durchgeführt. Bislang, sagt Kohlmeier, sei ihm kein Fall bekannt, in dem solche Wahlen erfolgreich gerichtlich angefochten worden.

Die Grünen haben bislang keinen eigenen Entwurf ausgearbeitet. Grundsätzlich stehe seine Fraktion einer Änderung aber "sehr offen" gegenüber, sagte Wesener dem Tagesspiegel. "Ich bin optimistisch, dass wir hier zeitnah etwas hinbekommen." Die nächste Möglichkeit wäre, die Gesetzesänderung in erster Lesung am 28. Januar einzubringen, die zweite Lesung könnte dann schon am 11. Februar stattfinden.

Eine Gesetzesänderung könnte bis März dauern

Sollten sich die die Koalitionsparteien nicht bis zum 28. Januar, die Antragsfrist endet schon vorher, auf einen gemeinsamen Entwurf zur Änderung des Wahlrechts einigen, wird die Zeit langsam knapp. Die nächstmögliche Plenarsitzung für die zweite Lesung fände dann erst wieder im März statt. Die vielen kleinen Parteien in der Stadt hätten dann gerade noch drei Monate, um ihre Kandidatinnen und Kandidaten zu wählen - und genug Unterstützer zu sammeln.

"Wenn an dem Gesetzesentwurf bis März gearbeitet wird, wissen wir für mindestens zwei weitere Monate nicht, wie die genauen Auflagen sein werden", sagte Steffen Meyer, Co-Landeschef von "Volt" am Dienst. "Wir müssen dann ins Blaue planen und hoffen, dass alles gut gehen wird."

Am Dienstag haben zwei Vertreter von „Volt“ deshalb vor dem Abgeordnetenhaus für digitale Wahlen protestiert. Sie fordern eine Regelung, die unmittelbar ab Beschluss gilt und komplett digitale Kandidatenaufstellungen ermöglicht. In den drei Koalitionsparteien, besteht nun immerhin Einigkeit, dass schnell gehandelt werden muss – die Zeit bis Juli verrinnt.

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