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Ulrich Locherer steht am letzten freien Uferstück des Sees. Laut Bauplan entsteht hier ein Restaurant.

© Thilo Rückeis

Berlin: Ärger im Idyll

Am letzten freien Ufer des Stölpchensees wird ein großes Restaurant geplant Die Anwohner protestieren, und im Bezirksamt sucht man nach dem Investor.

Am Ufer des Stölpchensees stehen ein älterer Herr und ein rostiges Schild: Parkverbot, zeigt es an. Ulrich Locherer ist 71 Jahre alt, wohnt in Wannsee und kämpft dafür, dass die Autos auch in Zukunft wegbleiben vom Ostufer. Doch es sieht schlecht aus: Ein Parkplatz soll hier entstehen. So zeigt es der Bauplan, den Locherer in den Händen hält. Die Skizze verrät außerdem, dass hier an der Kohlhasenbrücker Straße ein Ferienhaus gebaut werden soll, außerdem ein Restaurant mit 550 Plätzen und neun Übernachtungsmöglichkeiten. „550 Plätze“, sagt Locherer, „das sind elf Busladungen.“

Locherer gehört zum Verein für Kultur und Geschichte in Wannsee. Seine 74 Mitglieder protestieren gegen die Baupläne an ihrem See. Im Supermarkt haben sie Unterschriftenlisten ausgelegt. Innerhalb von drei Wochen haben rund 800 Anwohner ihren Namen eingetragen. An den Laternenpfählen rund um die Dorfkirche hängen Zettel, mit denen der Verein auf seine Sorgen aufmerksam macht. „Wir sind nicht gegen eine Wiederbelebung des Stölpchensees“, steht darauf geschrieben. Aber die Anwohner haben Angst. Davor, dass die Architektur der neuen Gebäude das Idyll verschandelt. Davor, dass am Ende doch ein großes Hotel für Touristen gebaut wird. Davor, dass ihr letztes freies Uferstück verlorengeht.

Wenn Locherer über den See blickt, sieht er die Villen, in deren Fenstern sich die Sonne spiegelt. Schaut er nach rechts, erhebt sich die Dorfkirche über die Baumwipfel. Zu jeder Stunde läutet ihr Glockenspiel. Der Uferabschnitt mit Blick auf den historischen Ortskern ist der letzte, zu dem der Zugang noch nicht versperrt ist. Hierhin gehen die Kinder zum Planschen, die Jugendlichen zum Knutschen, die Älteren zum Denken.

Schon einmal gab es nebenan ein Restaurant. Locherer zieht ein Foto aus einer Mappe. Es stammt aus dem Jahr 2006, als er mit seiner Frau an den See zog. Ein gelber Pavillon ist darauf zu sehen, daneben das Restaurant am Stölpchensee und ein Häuschen mit Umkleidekabinen des angrenzenden Freibads. Die Gebäude sind eingeschossig, haben flache Dächer und schmiegen sich an die Anhöhe hinter dem Ufer. Das nächste Foto, das Locherer zeigt, ist nur wenige Monate alt. An der Stelle des Restaurants klafft eine große Lücke. Auch das Badehäuschen wurde abgerissen. Bagger haben den Boden aufgewühlt. Nur der gelbe Pavillon steht noch ein seinem Platz – Denkmalschutz.

Ein massiver Holzzaun begrenzt die Baustelle heute. Ein Schild, das Auskunft über die geplanten Veränderungen gibt, fehlt. Darum hat Locherer seit dem Herbst recherchiert, was mit dem Seeufer geschehen soll. Er hat im Namen seines Vereins an den Bezirksstadtrat geschrieben, Baupläne beim Bezirksamt eingesehen, ansässige Parteien und den mutmaßlichen Investor um Stellungnahme gebeten. Die Gastronomie-Firma Aschinger hat das Grundstück gekauft, so viel weiß Locherer. Der Name steht für riesige Bierhallen, für Erbsensuppe mit Wurst, für XXL. Schon 1892 eröffnete die erste Bierquelle. Bis heute kamen mehr als hundert Restaurants, Cafés und Bars dazu. Doch seit Wochen ruhen die Bauarbeiten am Stölpchensee. Die Vereinsmitglieder in Wannsee vermuten, die Aschinger GmbH habe das Grundstück weiterverkauft. Aschinger selbst will sich auf Nachfrage nicht äußern.

Die Baustelle vom gegenüberliegenden Ufer aus gesehen.
Die Baustelle vom gegenüberliegenden Ufer aus gesehen.

© Thilo Rückeis

„Wir sind auch noch am Recherchieren“, sagt Bezirksstadtrat Norbert Schmidt (CDU). Ein Eigentümerwechsel müsse gegenüber der Bezirksverwaltung jedoch nicht angezeigt werden – und ein Bauschild mit dem Namen des Investors fehle an 80 Prozent aller Baustellen. Für Locherer und seinen Verein hat er nicht viel Hoffnung: „Da ist nicht mehr viel zu machen – mit der Tendenz gegen null.“ Es gebe eine korrekte Baugenehmigung, die auch nach einem möglichen Eigentümerwechsel gültig sei. „Wenn der Investor nicht gesprächsbereit ist, müssen die Bürger das hinnehmen.“ Mit 150 Anwohnern hat Schmidt sich am Stölpchensee zu einer Ortsbegehung getroffen. Der Rohbau des Ferienhäuschens steht bereits: zwei Stockwerke mit schrägem Dach statt ein Geschoss mit Flachdach wie früher. Zum Ärger der Anwohner. „Es wird bei gleichbleibender Fläche eine intensivere Nutzung geben“, drückt Schmidt es aus. Soll heißen, es wird in die Höhe gebaut. „In den alten Dimensionen hat sich das offenbar nicht gelohnt.“

Es sieht so aus, als blieben die Lösungsvorschläge der Wannseer Vereinsmitglieder ungehört. Dürften sie entscheiden, stünden bald Bänke am Seeufer.

Hier würde Locherer dann gerne mit seiner Frau sitzen.

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