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Berlin: Ärzte bestreiken den eigenen Streik

Fast alle Praxen geöffnet: Protest der Mediziner bricht schon am zweiten Tag zusammen. Viele fühlen sich von Funktionären überrumpelt

Spritzen, Rezepte und Untersuchungen wie immer – und kaum eine geschlossene Praxis: Der Streik der Fachärzte erweist sich als Flop. Auch am gestrigen zweiten Tag der Proteste beteiligten sich wesentlich weniger Mediziner, als ihre Funktionäre erhofft hatten. Eine Stichprobe des Tagesspiegels ergab, dass von 20 Arztpraxen in Kreuzberg nur zwei am Ärzteprotest gegen die Gesundheitspolitik teilnahmen. Die Krankenkassen sprachen von fünf bis acht Prozent Beteiligung. Viele Ärzte, die den Protest boykottieren, fürchten offenbar Imageschäden, Einnahmeverluste und fühlen sich von der kurzfristig angesetzten Aktion überrumpelt.

Der Frauenarzt am Mehringdamm arbeitet, der Internist und der HNOArzt ein paar Häuser weiter auch, und beim Orthopäden in Riehmers Hofgarten brennt ebenfalls Licht. Wer gestern geschlossene Praxen suchte, hatte viel Mühe. Der Tagesspiegel fragte nach: In Schöneberg hängten demnach nur 4 von 25 befragten Medizinern einen Streikzettel an die Tür. Laut Streikplan sollten gestern alle Facharztpraxen in Schöneberg schließen – außerdem in Kreuzberg, Treptow, Wedding und in mehreren Spandauer Ortsteilen. Doch auch dort war die Beteiligung offenbar äußerst gering.

Am Freitag sind Mediziner in Prenzlauer Berg, Steglitz, Tiergarten sowie im Norden von Reinickendorf zum Streik aufgerufen - und ihre Berufsverbände sind trotz der für sie schlechten ersten Nachrichten noch optimistisch. „Unser Protest läuft langsam an“, sagt Helmut Mälzer von der Gemeinschaft fachärztlicher Berufsverbände. „Aber er wird stärker werden.“

Der schleppende Beginn habe organisatorische Gründe, sagt Mälzer. Die Aktion sei zu kurzfristig angesetzt, erst am Montag hätten die meisten Ärzte den Streikplan erhalten. Viele Kollegen wollten die längerfristig einbestellten Patienten noch behandeln und hätten deshalb zum Streikbeginn noch gearbeitet. Zahlreiche Mediziner wollen aber offenbar abwarten, wie sich die anderen Kollegen verhalten und sind noch immer unentschieden.

In Neukölln beispielsweise stimmten sich erst am Mittwoch etliche Hals-Nasen-Ohren-Ärzte ab. Es stellte sich heraus, dass offenbar die Mehrheit den Streik boykottieren will. „Wer bisher wild entschlossen war, springt nun auch noch ab“, so ein Praxisinhaber. Hinzu kämen die befürchteten finanziellen Verluste. So sinke der Umsatz bei fünf Streiktagen um 10 bis 15 Prozent. „Dabei gehen einige tausend Euro verloren.“ Besonders kleinere Praxen mit hoher Kreditbelastung können das schwer verkraften.

Die Krankenkassen nehmen die Proteste schon jetzt nicht mehr ernst. „Die Vertragsärzte sind in überwiegender Zahl ihren Verpflichtungen gegenüber den Patienten nachgekommen“, sagt Rolf D. Müller, Chef der Berliner AOK. Aufgrund von Patientenbefragungen schätzt die Kasse, dass sich in den von den Protesten betroffenen Bezirken nur bis zu acht Prozent an Praxisschließungen beteiligten. Der Sprecher der Angestellten-Krankenkasse (DAK), Rüdiger Scharf, wertet die mangelhafte Beteiligung als „große Schlappe für die Kassenärztliche Vereinigung (KV)“. Die Betriebskrankenkasse (BKK) Berlin will trotzdem bis zum Ende der Proteste täglich 30 000 Euro Arzthonorare einbehalten. Erst danach werde man entscheiden, ob man die Honorare an die KV überweist. I.B./frh/cs

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