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Berlin: Ästhetisch, erotisch, behindert Die Fotografin Weingartner zeigt ab heute in einer Klinik sinnliche Fotos von Querschnittgelähmten

Die Frau im Rollstuhl sitzt lasziv verkehrt herum, die Lehne zwischen den Beinen wie Liza Minelli im Musical Cabaret. Das Modell im BH heißt Nadine Terhorst, ist 22 und wegen eines Tumors im Rückenmark querschnittgelähmt.

Die Frau im Rollstuhl sitzt lasziv verkehrt herum, die Lehne zwischen den Beinen wie Liza Minelli im Musical Cabaret. Das Modell im BH heißt Nadine Terhorst, ist 22 und wegen eines Tumors im Rückenmark querschnittgelähmt. Der Mann hockt am Boden und schmiegt sich sinnlich an seinen Rolli: Stephan Schultz, 29, hatte einen Motorradunfall. Arne Schöning, 27, ist seit einem Badeunfall querschnittgelähmt: Auf einem Foto schaut die Kamera zu ihm auf, auch im übertragenen Sinne. „Sinn und Sinnlichkeit – Ein Querschnitt“ heißt die Schau mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Beate Weingartner im Unfallkrankenhaus Berlin (UKB), die heute mit einer Vernissage offiziell eröffnet wird.

Behinderung, Erotik und Ästhetik – ein seltener Dreiklang. Nicht für die Betroffenen, wohl aber für die Öffentlichkeit, sagt die 26-jährige Fotografin. Eigentlich studiert Beate Weingartner Politologie an der Freien Universität. „Aber der Gedanke, mich fotografisch mit den Aspekten Schönheit, Erotik und Behinderung zu beschäftigen, hat mich gereizt.“ Erst Recht, als sie Arne Schöning kennen lernte – den in Spandau aufgewachsenen Rollstuhlfahrer betreut sie seit einem Jahr als so genannte Assistenzpflegerin.

Es folgte der schwerste Schritt. „Ich habe im Internet auf einer Seite für Querschnittgelähmte eine Suchanzeige aufgegeben – und hätte nicht gedacht, dass so viele ernst gemeinte Antworten kamen.“ Also packte sie ihre Hobby-Fotoausrüstung ins Auto und tourte durch ganz Deutschland zu den Amateurmodells. „Ich habe versucht, mir für jeden Menschen Zeit zu nehmen. Und alle sollten nur so weit gehen, wie sie selbst wollen“, sagt Weingartner. In Lüneberg widmete sie sich Claudia Darmann, 38, Mutter einer achtjährigen Tochter. Sie trägt ein Tattoo über der rechten Brust. Und auch mit Stephan Schultz stimmte die Chemie, das sieht man: Der Wirtschaftsingenieur flirtet heftig mit der Kamera.

Arne Schöning fotografierte sie in seiner Steglitzer Wohnung – „mit Licht vom Nachbarn und einer Tischdecke als Hintergrund“. War ihm das angenehm, sich körperlich und seelisch nackt zu präsentieren? Kein Problem. „Als Aufnahmeleiter hatte ich früher ohnehin oft mit Kameras zu tun. Und als Querschnittgelähmter besitzt man ein noch intensiveres Verhältnis zu seinem Körper.“ Außerdem finde er es schön, „wenn Betroffene mal nicht als Rollstuhlfahrer wahrgenommen werden, sondern als schöne und attraktive Rollstuhlfahrer“. Inzwischen „gibt es viel positives Feedback“.

Der 27-Jährige arbeitet im UKB für den Verein zur Förderung Querschnittgelähmter, einen Zusammenschluss von Medizinern und Pflegekräften, die präventiv tätig sind. Schöning sucht Sponsoren und Kinos, die einen Spot zur Vorbeugung von Badeunfällen unterstützen, der mit einer Agentur erarbeitet wird. Auch RTL will ihn zeigen. „Die Leute sollen Spaß haben, aber eben mit Umsicht“, sagt Schöning, „Vor dem Sprung vom Baum mal tauchen und gucken,ob sich unter der Wasseroberfläche ein Stein oder eine Wurzel verbirgt“.

Damit nicht mehr jungen Menschen passiert, was ihm vor zwei Jahren geschah. In Tunesien sprang er „halt so in Urlaubslaune“ mit einem Kopfsprung in den Hotelpool. Arne ist 1,80 Meter groß, der Pool war 1,40 Meter tief. Dem Animateur, der ihn herauszog, war der Unfall nur aufgefallen, weil plötzlich Blut im Wasser schwamm. 36 Stunden später im UKB die Diagnose: Querschnittlähmung. So wie ihm erging es in diesem Sommer in Berlin innerhalb weniger Wochen gleich acht Jugendlichen zwischen 16 und 20 Jahren. Die „frisch Verunfallten“ von ihnen, wie Arne sagt, die das UKB behandelt, müssen an den Bildern vorbeirollen, um zur Querschnittabteilung des Hauses zu gelangen. „Das ist auch ein Sinn der Ausstellung: Ich hoffe, dass die Fotos ihnen, ihren Verwandten und Freunden klar machen, dass das Leben weitergeht.“

„Sinn und Sinnlichkeit – ein Querschnitt“. Fotoausstellung in der Magistrale des Unfallkrankenhauses Berlin, Warener Straße 7, 12683 Berlin, geöffnet 24 Stunden bis Ende Januar. Vernissage heute, 13. Dezember, 19 Uhr. Jedes Bild kostet 250 Euro – davon gehen jeweils 50 an den Verein zur Förderung Querschnittgelähmter (Tel. 818 642 66; Internet: www.vfq.de). Beate Weingartner ist über E-Mail zu erreichen: inuid@web.de.

Annette Kögel

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