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 Innensenator Frank Henkel (r.), Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid (l.) und Staatssekretaer Bernd Krömer stellten sich am Freitag den Fragen der Parlamentarier.

© dapd

Affäre um Aktenvernichtung: „So was Beklopptes denkt man sich nicht aus“

Seit Tagen beschäftigt die Vernichtung von Rechtsextremismus-Akten die Berliner Landespolitik. Jetzt erfuhren die Abgeordneten neue Details der Reißwolf-Affäre.

Die Berliner Schredderaffäre um 57 Aktenordner mit Neonazi-Dokumenten beruht möglicherweise auf einem „Hörfehler“ oder einem Fall von „Gedächtnisschwund“. Das sagte der Sonderermittler zu den Pannen im Umgang mit der Affäre um die rechtsextreme Terrorgruppe NSU, Oberstaatsanwalt Dirk Feuerberg, am Freitag vor dem Verfassungsschutzausschuss des Abgeordnetenhauses.

Das Gremium tagte auf Antrag aller Fraktionen, um mehr über die am Dienstag bekannt gewordene Vernichtung von 57 Aktenordnern des Berliner Verfassungsschutzes zu erfahren, die diesen Juni auf dem Höhepunkt der Debatte um den Umgang mit Akten zum Rechtsextremismus in den Schredder gewandert waren.

Was die Abgeordneten vom Sonderermittler zu hören bekamen, ist aus Sicht von Innensenator Frank Henkel (CDU) „hochnotpeinlich“, die Grünen-Innenpolitikerin Clara Herrmann nannte es „ungeheuerlich“ und der Piraten-Politiker Pavel Mayer erklärte: „So etwas Beklopptes kann man sich nicht ausdenken.“

Nach Darstellung von Sonderermittler Feuerberg ist Folgendes passiert: 2009 wurde beim Landesamt für Verfassungsschutz entschieden, die Akten über Neonazis aus dem Umfeld der Band „Landser“ zu vernichten, da die Band seit 2003 nicht mehr existierte. Dass zu dem Umfeld auch der Neonazi Thomas S. gehörte, der beim Berliner Landeskriminalamt als V-Mann geführt wurde und zu den möglichen Komplizen der erst später bekannt gewordenen Terrorgruppe NSU gehört, wusste damals noch niemand.

Vorsatz? Der Verdacht liege „nicht besonders nahe“

Knapp zwei Jahre später, am 30. September 2011, seien mit dem Landesarchivar Akten ausgewählt worden, die wegen eines möglichen Forschungsinteresses nicht vernichtet werden sollen. Auf den Aktendeckeln seien diese mit einem „L“ für Landesarchiv gekennzeichnet worden. Sie wurden in Kisten verstaut und in einem Raum des Verfassungsschutzes gelagert, in dem auch Akten lagerten, die mit einem „X“ zur Vernichtung vorgesehen waren: Rechts die zu vernichtenden, links die zu archivierenden. Als im Sommer dieses Jahres die Akten geschreddert werden sollten, fiel auf, dass einige Unterlagen noch nicht von ihren Aktendeckeln befreit worden waren. Also „entheftete“ im Juni der Referatsleiter, anfangs unterstützt von zwei Mitarbeitern, drei Tage lang stapelweise Akten. Allerdings nahm er sich die Kisten auf der linken Seite vor, die für das Archiv vorgesehen waren. Wieso, sei „nicht zu erklären“, sagte Feuerberg. Erinnern könne sich der Referatsleiter nur, dass es in den Akten unter anderem um den Rechtsextremisten Horst Mahler ging. Eine Verbindung zur NSU habe er nicht hergestellt. Am 29. Juni seien die Akten in der Bundesdruckerei vernichtet worden – wenige Tage bevor Berlins Verfassungsschutzchefin einen offiziellen Stopp für Vernichtungen derartiger Akten verhängte.

War das eine vorsätzliche Tat? Der Verdacht liege „nicht besonders nahe“, sagte Feuerberg. Und zitierte eine Mitarbeiterin, die gesagt habe: „Das ist so schräg, das macht niemand absichtlich.“

Der Innenverwaltung wurde der Fall nach Angaben der Verfassungsschutzchefin am 1. Oktober durch eine Nachfrage des Landesarchivs bekannt – zwei Wochen, bevor Innensenator Henkel nach seiner Darstellung über den Vorgang informiert wurde. Schmid begründete die Zeitspanne damit, dass sie im Urlaub war. Am 9. Oktober habe man sie per Telefon in Thailand informiert. Nach ihrer Rückkehr habe sie am 15. Oktober den Innensenator informiert. Der beteuerte am Freitag, „erschüttert“ gewesen zu sein. Was ihm genau mitgeteilt wurde und ob klar gewesen sei, dass Rechtsextremismus-Akten geschreddert wurden, konnte er nicht mehr sagen: „Das entzieht sich meiner Erinnerung.“ Henkel kündigte an, den Umgang mit derartigen Akten neu zu regeln. Nach personellen Konsequenzen vor allem bezüglich des Referatsleiters gefragt, der die falschen Akten zur Vernichtung freigab, sagte Henkel, er wolle „nicht hastig oder vorschnell ein Urteil fällen“.

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