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Affäre um Kulturstaatssekretär in Berlin: Das Staatsgeheimnis um Schmitz' Steuerhinterziehung

Er war der Vertraute des Regierenden Bürgermeisters: Kulturstaatssekretär André Schmitz. Und nun das – Steuerhinterziehung! Am heutigen Dienstag wird er zurücktreten. Und Wowereit ist in großen Nöten. Schließlich hat er davon gewusst.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Aufstieg und Fall. Als der legendäre Intendant der Deutschen Oper, Götz Friedrich starb, übernahm André Schmitz den wichtigen Posten – als kommissarischer Leiter des Musiktheaters im alten Westen Berlins. Das war im Jahr 2000. Ein Jahr später rief Klaus Wowereit, drei Tage bevor er Regierender Bürgermeister von Berlin wurde, den kulturbesessenen Juristen an und lud sich zu ihm nach Hause ein. „Willst du mir einen Job anbieten? Finanzsenator kann ich ja wohl nicht werden“, muffelte Schmitz. Damals waren sie schon gute Freunde.

Wowereit machte ihn stattdessen zum Chef der Senatskanzlei. Fünf Jahre später wurde Schmitz Kulturstaatssekretär. Noch lieber wäre er Kultursenator geworden, aber dafür gab es im kleinen Berliner Senat keinen eigenständigen Posten. Jetzt tritt der 56-jährige SPD-Mann, der in Hamburg aufgewachsen ist, zurück. Wegen einer Steuerhinterziehung. Bisher galt Schmitz als ein Mann ohne Fehl und Tadel. Liebenswürdig und gebildet, kultiviert und honorig. Als er noch Verwaltungsdirektor an der Berliner Volksbühne war, in den 90er Jahren, hielt ihn der Intendant Frank Casdorf in den Verhandlungen um Fördergelder für unentbehrlich: „Der André ist doch der Einzige von uns, der weiß, wie man sich eine Fliege bindet.“

Diese und andere guten Eigenschaften veranlassten Wowereit vor zwölf Jahren, den engen Vertrauten, den er oft bei Premieren im Theater traf, ins Rote Rathaus zu holen. Seit der Abgeordnetenhauswahl 2006 managte Schmitz den Berliner Kulturbetrieb. In enger Abstimmung und auf Augenhöhe mit Wowereit, respektiert in allen Parteien und geachtet von den meisten Künstlern der Stadt. Deutsches Theater und Philharmoniker, Stadtschloss und Hamburger Bahnhof, das war seine Welt.

Und jetzt das. André Schmitz, als adoptierter Sohn der Unternehmerwitwe Pauline Schwarzkopf ein vermögender Mann, hinterzog Steuern. Schon 2005 zahlte er ein ererbtes Guthaben von 425 000 Euro bei der „Credit Suisse“ in eine Lebensversicherung ein, um Steuern zu sparen. Zwei Jahre später wurden die Scheinversicherung und das Konto aufgelöst, Schmitz verwahrte das Bargeld vorerst zu Hause. Erst bei einer Razzia im Juli 2012 in der Schweizer Bank flog das unrechtmäßige Steuersparmodell auf. Das Strafverfahren stellte die Ermittlungsbehörde im Dezember 2012 gegen die Zahlung von 5000 Euro ein. Außerdem zahlte Schmitz 19 767 Euro Steuern, Solidaritätszuschlag nebst Zinsen für die Jahre 2000 bis 2007 nach. Auch das Steuergeheimnis funktionierte – aber nur für eine Weile.

Als der Fall am Montag öffentlich wurde, bestätigte der sozialdemokratische Staatssekretär „den schwerwiegenden Fehler, den ich sehr bedaure“. Schmitz hat damit nicht nur sich, sondern auch seinen Parteifreund und Dienstherrn Wowereit in die Bredouille gebracht. Der ist gerade für eine Woche in den Winterurlaub gefahren und bestätigte erst nach anfänglichem Zögern, dass er schon 2012 von seinem Staatssekretär im Detail informiert worden war. Trotz der „ernst zu nehmenden privaten Verfehlung“, so ließ Wowereits am Montag ausrichten, habe er an Schmitz festgehalten. Denn für den Regierungschef wogen die „dienstlichen Leistungen Schmitz’ als kompetenter und profilierter Kulturpolitiker“ schwerer. Zumal sich der Beschuldigte gegenüber der Staatsanwaltschaft „einsichtig und kooperativ“ gezeigt habe.

Die damalige Entscheidung zugunsten von Schmitz fällt Wowereit jetzt auf die Füße

Damals, im Sommer 2012, zeigte Wowereit keinerlei Neigung, den strafwürdigen Fehltritt öffentlich zu machen. Oder doch wenigstens die eigenen Genossen und den Koalitionspartner CDU zu informieren. Wowereits Zurückhaltung hing vielleicht auch damit zusammen, dass er sich – als Aufsichtsratschef des Hauptstadtflughafens BER – im Mai 2012 gerade erst zum Gespött der Nation gemacht hatte. Die unmittelbar bevorstehende Eröffnung des Airports musste verschoben werden, wie wir heute wissen, auf unbekannte Zeit. In den Meinungsumfragen fiel der Beliebtheitswert des Sozialdemokraten ins Bodenlose. Kurze Zeit später öffentlich eingestehen zu müssen, dass sein Staatssekretär sich wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht habe, hätte dem Regierenden Bürgermeister möglicherweise den Rest gegeben.

Das Ergebnis der Geheimnistuerei ist, dass die damalige Entscheidung zugunsten von Schmitz dem Regierenden Bürgermeister jetzt mit Verspätung auf die Füße fällt. Und zwar doppelt schmerzhaft. Denn es blieb im Verlauf des Montags den Genossen in Bund und Land vorbehalten, dem Kulturstaatssekretär Schmitz den Rettungsschirm wegzuziehen, den Wowereit zunächst aufgespannt hatte. Treibende Kräfte waren dabei der SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und der Vorsitzende des Berliner Landesverbands, Jan Stöß.

Nach einer Klausurtagung des Parteivorstands, vormittags in Potsdam, redete Gabriel Klartext. Steuerhinterziehung müsse strenger bestraft werden und: „Repräsentantinnen und Repräsentanten der SPD haben eine besondere Vorbildfunktion, der sie gerecht werden müssen.“ Er gehe davon aus, so Gabriel, dass die Berliner Genossen den „Fall Schmitz“ beraten werden. Kurze Zeit später wurde der Wunsch erfüllt. Landeschef Stöß trommelte um 16.30 Uhr den engeren Landesvorstand in einer Telefonkonferenz zusammen, und die Vorständler waren sich großenteils einig, dass Konsequenzen unausweichlich seien.

Der Vorstandskonferenz folgte ein Telefongespräch zwischen Stöß und Schmitz

Vorher schon hielten mehrere SPD-Landespolitiker mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. So sagte der Kreischef der SPD in Steglitz-Zehlendorf, Michael Arndt: „Dafür fehlt mir jedes Verständnis, das haut mich aus den Socken.“ Die Steuerhinterziehung werde an Schmitz hängen bleiben, prognostizierte die SPD-Kulturpolitikerin Brigitte Lange, und die Vize-Landeschefin Iris Spranger hätte sich gewünscht, „davon nicht aus der Zeitung erfahren zu müssen“.

Der Vorstandskonferenz folgte ein Telefongespräch zwischen Stöß und Schmitz, der sich einsichtig zeigte und signalisierte, dass er die Sache zwar noch überschlafen wolle, aber am Dienstag seinen Rücktritt erklären werde. Ein persönlich schmerzhafter, aber finanziell verkraftbarer Schritt. Denn als Erbe des Unternehmens Schwarzkopf kommt Schmitz ohne das Gehalt eines Staatssekretärs gut aus und kann sich trotzdem noch jedes Theaterticket leisten. In Berlin-Wilmersdorf unterhält er eine schicke Wohnung, und in Brandenburg steht eine schöne Immobilie, die manche Genossen einen Bauernhof nennen, andere sprechen von „einem Schlösschen“. Dorthin lud Schmitz in früheren Jahren jedes Jahr auch die Staatssekretäre der Berliner Landesregierung zu einem geselligen Abend ein. Natürlich auf eigene Kosten.

Es gab schon einmal Streit um Schmitz, den Wowereit aber selbst verursacht hatte

Für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit könnte der „Fall Schmitz“ noch sehr unangenehm werden. Denn der Rücktritt seines wichtigsten Staatssekretärs lässt die Fehleinschätzung des SPD-Regierungschefs, und seine Geheimnistuerei vor eineinhalb Jahren, jetzt in einem besonders schlechten Licht erscheinen. Offensichtlich war es falsch, Schmitz im Amt zu halten. Und am Montag immer noch halten zu wollen. Trotz der entschlossenen Haltung der eigenen Partei und der deutlichen Kritik aus den Reihen des Regierungspartners CDU.

Genüsslich kostete der Berliner CDU-Generalsekretär Kai Wegner die Situation am Montag aus. „Steuervergehen sind keine Kavaliersdelikte, und ich hoffe sehr, dass wirklich alles offengelegt ist“, teilte er mit. Ihm stelle sich nun die Frage, wie dieser Vorfall mit den moralischen Äußerungen der SPD vor allem im Bundestagswahlkampf 2013 zu vereinbaren sei. Auch die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus forderte unmissverständlich, „dass der Regierende Bürgermeister alle aufkommenden Fragen schnellstmöglich und vollumfänglich klärt“.

Der Koalitionspartner ist irritiert

Man sei über Wowereits Verhalten schon wieder irritiert, hieß es darüber hinaus in CDU-Kreisen. Es sei schließlich nicht das erste Mal, dass die Union und deren Landeschef Frank Henkel vom sozialdemokratischen Regierungschef in Krisensituationen schlecht informiert werde. Besonders übel wurde es Wowereit genommen, dass er sowohl seinen Rücktritt als BER-Aufsichtsratsvorsitzender als auch den Entschluss, den vakanten Posten wieder einzunehmen, koalitionsintern nicht kommuniziert hatte. Die CDU erfuhr dies jedes Mal aus Zeitungen und Rundfunk. Das ist einer von mehreren Gründen, warum das rot-schwarze Koalitionsklima in Berlin momentan angespannt ist.

Dem SPD-Führungsmann Stöß und dem Fraktionschef der Sozialdemokraten, Raed Saleh ging es am Montag allerdings nicht besser als den Christdemokraten. Beide bemühten sich gleich in der Frühe, nachdem die Steuerhinterziehung Schmitz’ die Runde gemacht hatte, fieberhaft um Schadensbegrenzung und interne Aufklärung des Sachverhalts. Die Oppositionsfraktionen von Grünen, Linken und Piraten wurden von der Affäre erst recht überrascht, und sie überlegen jetzt, wie sie im parlamentarischen Rahmen reagieren werden. Zurzeit sind Winterferien und viele Politiker nicht in Berlin. Das erschwert vorerst das Geschäft.

Der Grünen-Finanzpolitiker Jochen Esser sieht den Regierenden Bürgermeister in der Pflicht, nach den Ferien gegenüber dem Abgeordnetenhaus und der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen. Und er hält den politischen Rückzug des Kulturstaatssekretärs Schmitz für unabdingbar. „Ich würde auch nicht da sitzen bleiben, an seiner Stelle.“ Dies sei eine Frage der politischen Kultur. „Irgendwann reicht es mal“, schimpfte Esser. Die Vize-Fraktionschefin der Linken, Karin Lompscher, hält die Steuerhinterziehung ebenfalls für inakzeptabel. „Insbesondere für einen hochrangigen Staatsdiener.“ Für den Chef der Piratenfraktion, Oliver Höfinghoff, ist die Sache auch ganz klar. „Der Kulturstaatssekretär kann nicht im Amt bleiben.“ Offenbar habe Wowereit den Fall 2012 „unter der Decke halten“ wollen, kritisierte Höfinghoff. Und jetzt habe er aus dem Urlaub heraus versucht, „den Fall herunterzukochen“. Vergeblich.

Wowereit wollte Schmitz 2006 um drei Gehaltsstufen befördern

Es gab schon einmal Streit um Schmitz, den der Regierende Bürgermeister aber selbst verursacht hatte. Er wollte seinen Freund, damals noch Chef der Senatskanzlei, vor der Wahl 2006 um drei Gehaltsstufen befördern. Begründet wurde dies mit der neuen Richtlinienkompetenz des Berliner Regierungschefs und der damit verbundenen „größeren Bedeutung der Senatskanzlei“. Schmitz wusste im Vorfeld von der Wohltat nichts. Letztlich scheiterte Wowereit aber am Widerstand aller fünf Parlamentsfraktionen.

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