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Afrodeutsche über Wallraff: „Lebensmüde und unrealistisch“

Günter Wallraffs Film „Schwarz auf weiß“ ist unter Afrodeutschen umstritten. Auch wenn Rassismus für sie zum Alltag gehört.

„Manche Ecken im Osten sind wirklich gefährlich. Da würde niemand von uns hingehen. Höchstens mit dem Auto durchfahren“, sagt Sven Mekarides. Der 38-Jährige ist Generalsekretär des Berliner Afrikarates, einem Dachverband für afrikanische Vereine und Initiativen in Berlin und Brandenburg. Die Angst vor No-go-Areas ist für Mekarides real, er kennt viele Beispiele, bei denen Schwarze körperlich angegriffen wurden; ein Bekannter wurde derart zusammengeschlagen, dass er heute im Rollstuhl sitzt.

Deshalb findet es Mekarides auch „lebensmüde und unrealistisch“ in einen Fanzug des Fußballvereins Dynamo Dresden einzusteigen. So etwas kann man sich als Schwarzer scheinbar nur trauen, wenn man eigentlich ein Weißer ist. Zum Beispiel der Journalist Günter Wallraff, der sich für seinen Film „Schwarz auf Weiß“, als Somalier Kwami Ogonno verkleidet hat. Mekarides jedenfalls ist skeptisch: „Vielleicht hatte Wallraff ein Kamerateam dabei. Oder die Polizei wusste Bescheid.“ Günter Wallraffs Film ist unter den Afrodeutschen in Berlin nicht unumstritten: „Er darf nicht den Anspruch haben, für die Schwarzen in Deutschland zu sprechen. Denn das kann er nicht“, sagt Mekarides. Er persönlich findet jedoch, Wallraffs Projekt sei „ein Schritt in die richtige Richtung. Zumindest hat er das Thema auf die Tagesordnung gebracht“.

In „Schwarz auf Weiß“ erlebt Kwami Ogonno alias Günter Wallraff vor allem den ganz alltäglichen deutschen Rassismus 2009: Er bekommt keine Wohnung, darf nicht Mitglied in Schäferhundvereinen werden und wird von unbekannten Personen ungefragt geduzt. In Berlin-Lichtenberg wimmelt ihn die Dame vom Kleingartenverein kurzerhand ab. Das Anmeldeformular sei „geheim“, sagt sie.

Wäre Wallraff tatsächlich der Somalier Ogonno, dann könnte er sich in diesem Fall an Eren Ünsal, die Leiterin der Berliner Antidiskriminierungsstelle, wenden. In ihren Beratungsstellen helfen Ünsal und ihre Kollegen den Opfern von jeglicher Form von Diskriminierung. Sie klären auf und versuchen, die Ursachen von Diskriminierungen zu beseitigen. „Jährlich sind es mehrere hundert Fälle, die wir hier bearbeiten“, sagt Ünsal. Die Bandbreite der Beschwerden ist sehr groß, sie reicht von unfreundlichem Verhalten über verwehrte Diskobesuche bis hin zu gewalttätigen „Hassverbrechen“. Viele Fälle von Diskriminierung werden aber gar nicht erfasst: „Viele kennen die Gesetze nicht und denken, dass ihnen nicht geholfen werden kann“, sagt Ünsal. Im Fall von Ogonno/Wallraff hätte die Antidiskriminierungsstelle einen Brief an die Dame vom Lichtenberger Kleingartenverein geschrieben und sie auf die Diskriminierung aufmerksam gemacht.

Für die afrodeutsche Journalistin Nana Wenger hätte Wallraff besser „echte“ Schwarze bei derartigen Problemen begleitet und mit ihnen gesprochen, als sich selbst zu verkleiden. „Ich sehe das mit einem bitteren Lächeln – ein weißer Mann erklärt der Welt Rassismus“, sagt die 33-jährige Wenger, die auch an einer Dissertation über die Darstellung von Schwarzen in der deutschen Literatur um 1900 schreibt. Es sei bezeichnend, dass Diskriminierung von Schwarzen in Deutschland erst durch Günter Wallraff eine solche Aufmerksamkeit bekomme: „Dabei gibt es tausende schwarze Deutsche, die auch öffentlich auftreten, als Journalisten, Moderatoren.Warum werden wir erst in zweiter Linie befragt? Warum wird über Schwarze nicht mit Schwarzen gesprochen?“ Für Wenger ist die Rolle des Somaliers Kwami Ogonno eine Maskerade, in der sich auch implizite rassistische Vorurteile spiegeln: „Wallraff verkleidet sich so, wie er sich den Schwarzen halt vorstellt.“ Dabei könnte eine ausgewogenere Darstellung ganz einfach sein, sagt Wenger: „Es wäre toll, wenn er vor der Kamera dem eigenen unbewussten Rassismus nachgehen würde. Da würde ich meinen Freunden Kinokarten schenken, damit sie da reingehen.“

Daniel Stender

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