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Ein schönes Land – aber mit Problemen. Der Strom ist in Brandenburg besonders teuer, die vermeintlich billige Braunkohle führt aber zu massiven Umweltschäden. An den Schulen fehlt es wohl bald an Personal, bei der Polizei schon heute. Die Wirtschaft floriert nicht überall, der BER bleibt ein Milliardenrisiko – und im ländlichen Raum fehlt es an Infrastruktur.

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Agenda zur Landtagswahl: Diese Probleme muss Brandenburgs nächste Regierung lösen

Jede zehnte Schulstunde wird nicht regulär erteilt, die Polizei braucht mehr Personal – und der BER kostet womöglich weitere Milliarden: Welche Probleme muss Brandenburgs nächste Regierung nach der Landtagswahl lösen? Ein Überblick.

Innere Sicherheit: Zu wenig Polizisten - zu viele Einbrüche

Es gibt in Brandenburg einen Spruch: Im Durchschnitt war der See nur einen Meter tief, die Kuh ist trotzdem ertrunken. So ähnlich ist es um die Innere Sicherheit bestellt, nämlich schlecht, obwohl laut Statistik die Gesamtkriminalität und auch die Unfälle seit Jahren rückläufig sind. Zwar hatte der damalige Innenminister und jetzige Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) begonnen, die viel kritisierte Polizeireform seines Vorgängers zu korrigieren, mit der die Stellenzahl der Landespolizei von 8900 (2009) auf 7000 im Jahr 2019 reduziert werden sollte. Aktuell hat Brandenburg 8300 Polizisten, was reichen müsste. Doch mit durchschnittlich 38 Krankheitstagen im Jahr pro Polizist liegt Brandenburg deutschlandweit vorn. Es sind zu wenige Funkstreifenwagen unterwegs, wie Innenminister Ralf Holzschuher (SPD) Ende 2013 eher versehentlich eingestand. Vor der Polizeireform war versichert worden, dass es keine Abstriche bei der Sicherheit geben würde und weiterhin ständig 150 Streifenwagen patrouillieren sollten. Die Realität sieht anders aus: 2013 waren nicht 124 Streifenwagen unterwegs (wie die nach unten korrigierte Vorgabe inzwischen lautete), sondern im Schnitt weniger als 100.

Die Bürger brauchen immer mehr Geduld, bis die Polizei kommt. Im Schnitt dauert es, nach offiziellen Angaben, 28 Minuten, bis nach einem 110-Ruf eine Streife eintrifft – das sind vier Minuten mehr als vor ein paar Jahren. Selbst in Notfällen, den sogenannten „Blaulichteinsätzen“, braucht die Polizei im Schnitt 19 Minuten, bis sie vor Ort ist. Zwar gibt es einen Landtagsbeschluss, demzufolge die früheren Standards wieder gewährleistet werden sollen. Anfang des Jahres musste Holzschuher aber zugeben, dass dieses Ziel nicht vor Oktober erreicht wird, also erst nach der Landtagswahl. Seitdem gibt es dazu gar keine Angaben mehr. Besonders dramatisch ist die Lage in den Grenzregionen, wo weiter täglich Autos, Baumaschinen und Traktoren geklaut werden – trotz dorthin abkommandierter Hundertschaften der Bereitschaftspolizei. Jüngst hat Holzschuher zusätzlich acht Funkstreifen aus dem Berliner Umland an die Grenze geschickt. Sie fahren morgens hin, abends zurück – und fehlen in ihrem eigentlichen Einsatzgebiet. Viele Polizisten empfinden Entscheidungen wie diese als Aktionismus und sind frustriert. Und auch das Problem der Wohnungs- und Hauseinbrüche bleibt groß, vor allem im Berliner Umland. 62 Prozent aller Einbrüche im Land geschehen innerhalb des Autobahnringes, nur jeder sechste Fall wird aufgeklärt. Brandenburgs Bevölkerung hat traditionell ein hohes Sicherheitsbedürfnis. Auch das kann die neue Regierung nicht ignorieren.

Bildung: Zu viele Schulstunden fallen aus

Immerhin: Brandenburgs Bildungssystem ist etwas besser geworden. Vor einem Jahrzehnt gehörten die Schüler des Landes – ähnlich wie die Berliner – zu den leistungsschwächsten der Republik. Inzwischen landen die Grundschüler schon mal im Mittelfeld, so etwa 2012 bei einem Vergleich der 16 Bundesländer auf Platz 11 in Mathe, Platz 10 im Hörverständnis und Platz 7 im Lesen. Und die Neuntklässler schafften es 2013 sogar in Mathematik, Physik, Biologie und Chemie in die Spitzengruppe hinter Sachsen und Thüringen. Und doch haben die Schulen viele Probleme. Viele Unterrichtsstunden fallen aus und die bisherige Bildungsministerin Martina Münch (SPD) hat dieses Problem eher verharmlost, als es zu lösen. Zählt man zum ersatzlos gestrichenen Unterricht die Vertretungsstunden und jene Zeiten hinzu, in denen sich Schüler selbst beschäftigen, wird jede zehnte Stunde nicht regulär gegeben. 2013/2014 waren das fast eine Million Stunden – ein neuer Höchststand. Diese Erfahrung prägt den Alltag von Schülern, Eltern und Lehrern. Im Frühjahr musste Ministerin Münch eingestehen, dass tausende Schüler in bestimmten Fächern keine Halbjahresnoten bekommen hatten, weil Unterricht nicht gegeben wurde.

Zwar hat die rot-rote Koalition unter Dietmar Woidke nachgesteuert, erstmals die Vertretungsreserve aufgestockt und so viele Lehrer neu eingestellt wie nie seit 1990. Die Pflichtstundenzahl wurde abgesenkt, die Klassen sind kleiner geworden, die Schüler-Lehrer-Relation – laut Koalitionsvertrag auf 15,4 Schüler je Lehrer festgeschrieben – verringerte sich sogar auf 14,6 zu 1. Es ist so viel Geld wie nie im System. Die Wirkung aber verpufft, nicht zuletzt durch das Missmanagement im Bildungsministerium, durch Pannen und handwerkliche Patzer. Beispiele sind die verunglückte Reform der Schulämter, das von vielen als instinktlos kritisierte Vorgehen bei der Inklusion, das angekündigte und dann zurückgenommene Aus für die Förderschulen. In der ablaufenden Legislaturperiode gab es die größten Lehrerproteste seit 1990, und – ein Novum – sogar einen offenen Aufstand im Bildungsministerium samt Unterschriftensammlung gegen die Ministeriumsspitze. Nötig in den Folgejahren wird sein, wieder Ruhe, Linie und einen höheren Standard ins Schulwesen zu bringen, die Lehrerschaft zu motivieren. Der Unterrichtsausfall muss sinken, die Schulabbrecherquote auch, die Schulen müssen wirtschaftsnäher und tausende junge Lehrer gewonnen werden. Allein 3600 Lehrer gehen bis 2019 in den Ruhestand. Der oder die Neue im Bildungsministerium wird genug zu tun haben.

Finanzen und Strukturen: Kleinstaaterei in der Mark

Brandenburg ist kein reiches Land. Kostenintensive Verwaltungsstrukturen kann sich die öffentliche Hand nicht leisten – vor allem nicht, weil die Mark gespalten ist. Öffentliche Ressourcen müssen punktgenau investiert werden: in den prosperierenden Berliner Speckgürtel, wo neue Schulen und Kitas benötigt werden, und in die ferneren Regionen, die an extremem Bevölkerungsrückgang leiden. Hier muss das Land vor allem die Grundstandards der Daseinsvorsorge sichern. Zwar hat sich infolge hoher Steuereinnahmen die Finanzlage entschärft. Brandenburg wird weiter jährlich etwa zehn Milliarden Euro ausgeben können. Daran wird sich, nach den bisherigen Prognosen, auch 2014 bis 2019 nichts ändern. Das Land hat in der rot-roten Regierungszeit erstmals begonnen, Schulden zu tilgen, nachdem 1990 bis 2012 der Schuldenstand eine Höhe von 18 Milliarden Euro erreichte. Doch Personalkosten und Beamtenpensionen steigen. Und niemand kann ausschließen, dass die derzeit niedrigen Zinsen wieder ansteigen, was den Schuldendienst verteuern würde. Auch dass für den BER neues Kapital benötigt wird, ist schon jetzt absehbar.

Und Brandenburg muss sich, wie der Landesrechnungshof seit langem anmahnt, in den nächsten Jahren auf 2019 vorbereiten. Dann läuft der Solidarpakt aus, es wird weniger EU-Fördermittel geben. Gerade Brandenburg, dieser gelegentlich als „Streusandbüchse“ bezeichnete Landstrich, in dem die Leute schon immer aus wenigem das Beste machen mussten, muss für schlanke Verwaltungsstrukturen sorgen. Derzeit sind diese aber eher antiquiert, Reformen kommen nicht voran. Eine Enquete-Kommission des Landtages aus Experten und Abgeordneten hat deshalb jüngst einen substanziellen Vorschlag vorgelegt, wie die Aufgaben zwischen Land, Kreisen und Kommunen besser verteilt und Strukturen gestrafft werden könnten, damit das Land den demografischen und finanziellen Herausforderungen begegnen kann. Mit vierzehn Klein-Kreisen und vier kreisfreien Städten, die seit den Neunzigerjahren nicht angetastet wurden, herrscht nach modernen Maßstäben geradezu Kleinstaaterei. Die Enquete-Kommission hält sieben bis zehn Kreise für ausreichend. Eine Reform ist unumgänglich, die Vorbereitung und Umsetzung wird eine der ersten Aufgaben nach der Landtagswahl sein. Und dann ist da vor allem die Metropole Berlin in Brandenburgs Mitte. In der Zusammenarbeit beider Länder gibt es Defizite, Reibungsverluste und immer noch unnötige Doppelstrukturen, wie bei den Gefängnissen. In den letzten Jahren machte eher jeder seins. Ein Neustart in den Beziehungen ist schon lange überfällig.

BER: Das Milliarden-Risiko

Der neue Hauptstadt-Flughafen, die ewige Baustelle. Daran wird sich zunächst auch nichts ändern. Und es geht inzwischen längst nicht mehr allein darum, dass der Airport in Schönefeld überhaupt einmal eröffnet, nachdem der Start erst 2012, dann 2013 verschoben werden musste. Flughafenchef Hartmut Mehdorn versucht mit der Flughafengesellschaft, die den Ländern Brandenburg, Berlin und dem Bund gehört, eine Inbetriebnahme im Jahr 2016 umzusetzen. Inzwischen geht es zusätzlich darum, wie der Airport eröffnet, ob ein Chaos, ein „Systemzusammenbruch“ verhindert werden kann. Der Grund: Der Großflughafen ist ein Kleinflughafen. Im falsch geplanten Fluggastterminal können lediglich 21 Millionen Passagiere abgefertigt werden, wie Mehdorn jetzt den Aufsichtsrat warnte. Der für mehr als zwei Milliarden Euro errichtete Bau hat zu wenige Check-in-Schalter und eine zu klein dimensionierte Gepäckanlage. Dass ein neuer Flughafen unter Volllast startet, ohne jeden Wachstumspuffer, wäre ein weltweites Novum. Der BER, der derzeit in der konzipierten Form zu Ende gebaut wird, schafft womöglich nicht einmal die versprochenen 27 Millionen Passagiere. Doch so viele werden derzeit in Tegel und dem alten DDR-Flughafen in Schönefeld abgefertigt.

Nach neuen Prognosen kann die Hauptstadtregion mit einem weiteren rasanten Passagierwachstum rechnen, 2016 bereits mit 31,4 Millionen Passagieren. Die Konsequenzen werden Brandenburg, sein Parlament und seine neue Regierung beschäftigen. Es wird wieder teuer für die öffentliche Hand. Noch hat der Landtag nicht einmal den letzten Zuschuss bewilligt. Das sind 440 Millionen Euro, Brandenburgs Anteil an dem jüngsten Milliardennachschuss für das inzwischen 5,4 Milliarden Euro teure Infrastrukturprojekt, das neben dem Umland insbesondere für den Süden des Landes Job-Effekte bringen soll. Noch ist offen, wie die wohl fällige BER-Erweiterung angegangen wird. Die Politik zögert wegen der Kosten, die Flughafenchef Hartmut Mehdorn intern schon mal auf 800 Millionen Euro kurzfristig und weitere 1,4 Milliarden Euro beziffert hat. Wenn ein BER-Start 2016 klappen soll, müssen 2015 die Bauprobleme gelöst, die Brandschutzanlage in Gang gebracht und alle 20 000 Anrainerhaushalte mit Schallschutz versorgt sein. Jeder Monat, den der BER nicht eröffnet, kostet 17 Millionen Euro. Lange kann sich Brandenburg den BER-Skandal nicht mehr leisten.

Der Versuch, den schönsten Flughafen Europas zu bauen, wurde zur Blamage einer Region. Wie konnte es so weit kommen? Der Tagesspiegel zeichnet das Desaster in einem nun erschienenen E-Book nach.

Wirtschaft und Soziales: Es fehlt an Fachkräften

Der Aufschwung Ost ist angekommen, obwohl Brandenburg bei seiner Neugründung besonders ungünstige Startbedingungen hatte. Die Mark war sehr ländlich geprägt, fast ohne Industrie, bis auf ein paar zu DDR-Zeiten auf die grüne Wiese geklotzte marode Kombinate. Anders als in Sachsen gab es fast keine Mittelstands-Tradition. Anno 2014, ein Vierteljahrhundert später, sieht alles anders aus. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 9 Prozent, ist damit so niedrig wie nie und niedriger als in Berlin. In den Neunzigerjahren lag sie noch bei Werten an die 20 Prozent, in einigen Regionen sogar bis zu 25 Prozent. Heute gibt es hochmoderne Industrie, Bombardier, Rolls-Royce, auch in Schwarzheide oder Schwedt. Im Berliner Umland floriert die Wirtschaft ohnehin. Fünf Jahre Rot-Rot mit dem Linke-Wirtschaftsminister Ralf Christoffers haben nicht zum Klassenkampf geführt. Bei Unternehmern ist der Pragmatiker angesehen. Und doch hemmen strukturelle Defizite und Rückstände das Wachstum. Kleine, kapitalschwache Firmen prägen die Struktur, die Exportquote ist gering. Die Produktivität, das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, liegt unter dem Bundesschnitt. Der Abstand zu den alten Bundesländern, besonders jenen im Süden und im Westen, wird nicht geringer.

Das Land ist besonders in den ärmeren, berlinfernen Regionen wirtschaftlich noch nicht gesundet, das Armutsgefälle wächst. Und gerade die Wirtschaft steht vor neuen Schwierigkeiten. Die größte wird der Mangel an Fachkräften sein, der schon jetzt spürbar ist und sich in den nächsten fünf Jahren dramatisch verschärfen wird. Dieses Problem zu lösen muss auf der Agenda einer neuen Regierung weit oben stehen. Die Zusammenarbeit mit Berlin bei der Wirtschaftsförderung kann verbessert werden, bei der Breitbandversorgung gibt es Lücken und zu viele Landesstraßen sind marode. Ein Problem sind auch die Strompreise, die ohnehin schon höher sind als anderswo in Deutschland und weiter steigen – eine Folge der vielen neuen Wind- und Solarparks und des bisherigen Umlagesystems für Ökostrom. Noch gilt: Ohne die umstrittene, ökologisch hochproblematische Braunkohle wäre Strom hier noch teurer.

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