zum Hauptinhalt
The big picture. Ai Weiwei at "Fridays for Future" in Berlin.

© Annette Kögel

Ai Weiwei in Berlin: „Aus Schülerprotest muss internationale Vereinigung werden“

In Berlin demonstrieren Schüler für den Klimaschutz. Mittendrin steht plötzlich Künstler Ai Weiwei. Im Interview erklärt er, warum der Protest bitter nötig ist.

Unterwegs auf der großen bundesweiten Schülerstreik-Demonstration zum Klimaschutz, „Fridays for Future“. Die Jugend Deutschlands ringt um ihre Zukunft auf einer Erde ohne Dürre, Artensterben, Überflutung, Hitze, Massenmigration. Schließlich warne das Weltwirtschaftsforum, die Welt „schlafwandelt in eine Katastrophe“. Wenn nicht Treibhausgasemissionen sofort weltweit radikal gesenkt würden, werde allein das weitere Polkappenabschmelzen katastrophale Auswirkungen haben.

Mitten in all den rufenden, springenden, jugendlich typisch ausgelassenen Demonstranten macht ein Mann Fotos der jungen Leute. Er sieht aus wie der chinesische Menschenrechtsaktivist und Künstler Ai Weiwei. Es ist Ai Weiwei. Wir kommen ins Gespräch. Ich beantworte gern ein paar Fragen, sagt er, aber heute ist doch der Tag der Jugend! Hat er recht. Also später noch ein längerer Gedankenaustausch – morgen ist ja wieder Schülerstreiktag.

Herr Ai Weiwei, ich bin erstaunt, Sie hier beim Klimastreik inmitten der Schüler und Studenten zu sehen. Warum sind Sie hier?

Weil es um die Zukunft der jungen Generation geht, und unglücklicherweise sorgen wir Erwachsenen dafür, dass sich die jungen Menschen Sorgen machen. Durch unsere Verhaltensweisen sehen sie sich gezwungen, auf die Straße zu gehen und ihre Ansicht vereint auszudrücken. Aus dem Schülerprotest muss eine internationale Vereinigung werden. Weil wir eine globale Situation haben, die den Planeten ruiniert.

Auch ich mache mir Gedanken über die Zukunft, denn ich habe einen Sohn, er wird bald zehn, wir sind zusammen hier, auch meine Partnerin. Lasst uns aus dem Anlass das übliche Lehren und Lernen im Klassenzimmer stoppen. Lasst uns beweisen, dass von jedem einzelnen Individuum eine besondere Kraft ausgeht und wir uns zusammentun. Und jetzt, wo ich hier bin, bin ich sehr glücklich. Ich sehe die jungen Leute, sie haben die Wichtigkeit des Themas verstanden und sie machen sich nicht wie andere Erwachsene vor, es würde in der Welt draußen gerade nicht etwas Existenzielles passieren, was unsere Erde bedroht.

Seit Jahren werden immer beunruhigendere Erkenntnisse zur globalen Erwärmung bekannt, die Zeit zum Stopp beträgt laut Weltklimarat nur noch ein paar Jahre – doch im Lebensalltag machen die meisten Menschen weiter wie bisher. Gesellschaftspsychologen sagen, das Bewusstsein um die gefährdete Zukunft der Kinder kann einen Umschwung bewirken. Später werden uns die Kinder fragen, ihr wusstet es doch, was habt ihr dagegen getan?

Es ist extrem wichtig, sich weiter Wissen anzueignen und die Nachrichten zu verbreiten. Der Klimawandel betrifft jeden Einzelnen von uns, völlig unabhängig von sozialem Status, von der Religion und der Herkunft. Wir sind alle Kinder dieser Erde und leben alle auf diesem einen Planeten. Wir können dem Problem nicht entfliehen. Und wir können uns nicht leisten, diese Erde zu verlieren.

Als Sie selbst Kind und später Jugendlicher waren, hatten Sie da auch schon Sorge, dass Menschen die Erde vergiften?

Ich bin in einer kommunistischen Gesellschaft aufgewachsen, und die alltäglichen Kämpfe im Leben waren ziemlich einfacher Art. Am Anfang der 1960er Jahre erlebte China eine große Hungersnot, die drei Jahre angedauert hat. Die Kommunistische Partei hat die Kampagne „Großer Sprung nach vorn“ vollzogen, die Bauern in den Kommunen vereinte mit dem Ziel, die Nation schnell zu industrialisieren. Jedes Dorf hat seine Bäume gefällt, um Brennstoff zu erhalten, und die Menschen haben sogar ihr Kochgeschirr eingeschmolzen, um die zentral vorgegebenen Produktionsziele für Stahl zu erreichen.

Es wurden nicht genügend Lebensmittel produziert, weil das kollektive Bemühen sich auf die Stahlherstellung ausrichtete. Das hatte verheerende Folgen für beides, für die Umwelt und die Menschheit. Nach den Reformen von Deng Xiaoping hat sich die chinesische Staatspolitik dahingehend verlagert, zuerst reich zu werden. Jegliche Arbeit war akzeptabel, ohne die Konsequenzen für die Umwelt mitzubemessen. Die meisten Dörfer und Städte, in jeder Provinz, im ganzen Land, waren bereit, alles zu tun für einen Cent.

She started everything. Greta Thunberg, now 16, has already been striking since half a year in Stockholm, Sweden.
She started everything. Greta Thunberg, now 16, has already been striking since half a year in Stockholm, Sweden.

© REUTERS

Viele der Jobs kamen aus Hongkong, Taiwan oder vom Westen. Diese Länder haben nicht allein billige Arbeitskräfte gesucht. Die entwickelten Nationen benutzten China, um Dinge produzieren zu lassen, die verseucht oder belastet sind und die einen hohen Energieverbrauch aufweisen. In einem Land, das wegen Regelungen bezüglich Arbeitnehmerschutz und sozialer Gerechtigkeit attraktiv war. Die Länder fanden einen perfekten Partner in China, um dort all das produzieren zu lassen, was in einer demokratischen Gesellschaft nicht einfach zu handhaben wäre.

Beide, China und die westliche Welt, haben diese Beziehung die vergangenen drei Jahrzehnte genossen. Währenddessen hat China seine Flüsse und Wassersysteme verschmutzt und hat den höchsten Anteil Kohlendioxids in die Atmosphäre beigesteuert. Das hat dramatische Gesundheitsprobleme, eine untragbare Entwicklung und Korruption der Regierung verursacht.

In der Zukunft wird China damit weitermachen, die gleiche Rolle mit dem gleichen Regelwerk zu spielen, wie es der Westen vorgibt. Entweder werden beide Seiten weiter dieses Opfer bringen oder sie werden das Problem in noch ärmere Länder exportieren, wie jene in Afrika oder Lateinamerika.

Kann China als einer der Hauptemittenten von Treibhausgasen in der Welt, aber zugleich als eine der technisch am modernsten aufgestellten Weltmächte, nicht sogar ein Vorbild werden in Sachen nachhaltige Energien und Technologien? Zumal damit auch wirtschaftliche Erlöse verbunden sind. China ist auch großer Wirtschaftsplayer in Afrika mit Vorbildcharakter.

China wird sich sicher vielen dieser Angelegenheiten zuwenden, wegen seiner großen Bevölkerungsanzahl und der rasanten Entwicklung. China wird gleichfalls zum Opfer gemacht und gibt seine Umwelt dran, um dem Entwicklungsgrad des Westens zu entsprechen. Jetzt ist man sich aber des angerichteten Schadens bewusst geworden und hat korrigierende Schritte unternommen, das Land war eines der Unterzeichner des Pariser Abkommens. China zeigt sich willens, Bestrebungen Richtung nachhaltiger Entwicklung zu machen.

Wie auch immer, China ist immer noch keine demokratische Gesellschaft. Seine Entscheidungen sind nie durch das Volk gemacht worden. Die Regierung ist so mächtig darin, Entscheidungen zu fällen, die jedermanns Rechte und Interessen verletzten können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Staat wie China ein Vorbild beim vorgeschlagenen Verhalten sein kann.

Kids go for it in Berlin, the message is important, not the writing.
Kids go for it in Berlin, the message is important, not the writing.

© Annette Kögel

Den Klimawandel gibt es auch, weil Länder mit immenser Bevölkerung, wie China und Indien, auch massive Konsumenten geworden sind und weil sie sich weiterentwickeln werden. Wie können wir als Menschheit die grundlegenden Rechte, wirtschaftlich zu überleben, mit dem Geschehen, das mit dem Ruin des gesamten Planeten verbunden ist, ausbalancieren? Wir brauche eine klare, weltumspannende Vorstellung davon und müssen eine globale Regel festlegen, mit der jedes Land zur Rechenschaft gezogen werden kann. Wenn das nicht geschieht, werden wir dieses Wunder eines Planeten als Wunder sterben sehen.

Weil Sie selbst ein erfahrener gesellschaftlicher Vorstreiter sind, etwa bei Menschenrechten – welche Anregungen geben Sie der jungen Generation, damit ihr Hilfeschrei für eine gesicherte Zukunft gegen alle Gleichgültigkeit, Beschwichtigungen, Legislaturperiodendenken und Alltagsträgheit tatsächlich gehört wird?

Eine bessere Umwelt und Natur für eine bessere Zukunft zu haben, ist keine Ideologie, sondern eine ganz pragmatische und notwendige Angelegenheit für die gesunde Evolution der Menschheit. Das muss mit einer starken Öffentlichkeit beginnen, denn Unternehmen und Firmen werden nicht handeln, solange der öffentliche Wille nicht etwas energisch verlangt. In einer demokratischen Gesellschaft könnte sich die Lage schnell extrem verschlechtern, wenn nicht ganz normale Bürger gesunde Lebensumstände und eine intakte Natur einfordern würden.

Wir könnten einen Punkt erreichen, an dem es kein Zurück mehr gibt. Kapitalismus unter den Bedingungen einer globalisierten Welt ist unglaublich machtvoll, mit Unternehmen, die Profit über alle Grenzen hinweg machen wollen. Da gibt es schlicht keine Moral – oder herkömmliche Methoden, sie zu stoppen, weil es immer verzweifelte Menschen geben wird, wie damals jene in China vor 30 Jahren, die bereit sind, die Umwelt an diese Konzerne zu opfern.

Das Problem ergibt sich von zwei Seiten: gieriger und rücksichtsloser Kapitalismus in den entwickelten Ländern und die verzweifelten Armen in den Staaten, die Aspekte des Umweltschutzes nicht in den Vordergrund stellen können oder wollen. Eine Weile lang sah es so aus, als ob dieses System perfekt läuft, aber wir befinden uns jetzt in einer Krise.

Ai Weiwei, son, partner, join the protest of the youth in Berlin and worldwide..
Ai Weiwei, son, partner, join the protest of the youth in Berlin and worldwide..

© Annette Kögel

Ob wir es anerkennen oder nicht, wir werden alle zum Opfer gemacht, weil wir nicht direkt einbezogen werden in die Aspekte, die eine direkte Auswirkung auf unsere Zukunft haben. Dabei sind wir alle involviert. Jedes Individuum, und zwar jung wie alt, muss sich unseres Planeten bewusster sein und sich mehr um unsere einzigartige Erde kümmern. Wir müssen das weitersagen, auf den Straßen demonstrieren, unseren Politikern schreiben und zivilen Ungehorsam an den Tag legen, um rücksichtslose und unmoralische unternehmerische Gier zu stoppen, und neue Gesetze etablieren, um unsere Umwelt und unsere Zukunft zu retten.

Herr Ai Weiwei, viele Jugendliche werden sich und ihre Initiative als geehrt ansehen, weil Sie als privater Teilnehmer der Klimastreik-Aktion eine besondere Bedeutung verleihen.

Das ist schön, aber ich finde, jeder Schüler, jeder Student, jeder Lehrling, der auf die Demo geht, ist cooler als ich.

Fragen und Übersetzung: Annette Kögel

Klimastreik geht weiter: Fridays for Future

Die Berliner Initiative „Fridays for Future“ bezeichnet den Kohleausstieg bis 2038 als einen Schritt gegen die Zukunft der Jugend und „ein Geschenk an die Industrievertreter“. Luisa Neubauer, Sprecherin der Berliner Schülerstreik-Initiative gegen die Klimakrise, sagt: „Wir werden weiterhin zu massiven Klimastreiks aufrufen und einen schnelleren Ausstieg fordern – bis spätestens 2030.“ Und zwar weiter während der Schulzeit – denn „die Wucht, mit der wir in den vergangenen Wochen in den klimapolitischen Diskurs katapultiert worden sind, bestätigt unsere Herangehensweise“, die „,drastische‘ Maßnahme“.

Climate now, homework later. Global waming needs immediate action, these girls say.
Climate now, homework later. Global waming needs immediate action, these girls say.

© Annette Kögel

Es gehe weiter um Kohle, Landwirtschaft, Transport und Wohnen. Am Freitag, 1.2., werde wieder gestreikt und demonstriert, vor dem Bundeswirtschaftsministerium, Invalidenstraße 48 in Mitte, 12–14 Uhr. Die nächste Großveranstaltung ist am 15. März.

Viele Schüler bekamen schon Sechsen in Tests, Eintragungen ins Klassenbuch. Laut einer repräsentativen Civey-Umfrage wollen 47 Prozent der Deutschen keinen negativen Zeugnisvermerk für Schüler, wenn sie während der Schulzeit demonstrieren. 22,6 Prozent wollen sogar einen positiven Hinweis. 59,7 Prozent der AfD-Wähler fordern hingegen einen negativen Zeugnisvermerk.

Zwölf Newsletter, zwölf Bezirke: Unsere Leute-Newsletter aus allen Berliner Bezirken können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false