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Berlin: Aktion Ankara

Zu Mauerzeiten fand die Stasi unter den Türken in West-Berlin willfährige Zuträger. In den 80er Jahren wurde es der DDR zu heikel – Mielkes Spione blieben bis heute unerkannt

Von Matthias Schlegel

Im Frühjahr 1981 kam ein junger Türke, nennen wir ihn Kemal, in Schwierigkeiten: Seine Aufenthaltsgenehmigung für West-Berlin lief ab und ihm drohte die Abschiebung ins Heimatland. Just zu dieser Zeit schaute sich das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) im Westteil der Stadt unter türkischen Staatsbürgern nach geeigneten inoffiziellen Mitarbeitern (IM) um. Kemal verfügte über gute Deutschkenntnisse, hatte viele Kontakte, sympathisierte mit sozialistischen Idealen – und brauchte Hilfe.

Das MfS trat an Kemal heran und unterstützte ihn bei der Suche nach einer Frau in Ost-Berlin, die zu ihm in den Westteil der Stadt übersiedelte und ihn vor der Abschiebung bewahrte. Bis zur Wendezeit lieferte Kemal Informationen über bestimmte Personen, vermittelte Adressen, wurde gegen vermeintliche Fluchthelfer und Drogenschmuggler eingesetzt.

Ein anderer IM war „Taruk“. Er war 1979 in der DDR unter Spionageverdacht geraten, weil er in Lichtenberg ein MfS-Gebäude fotografiert hatte. Als er darüber hinaus wegen Schmuggelgeschäften auffiel, wurde er zur IM-Verpflichtung erpresst. Bis zum Herbst 1989 berichtete er über türkisches Leben in Studentenwohnheimen, über Elterninitiativen, das türkische Konsulat und die rechtsradikale Organisation „Graue Wölfe“. Den IM „Piero“ warb die Stasi in einem DDR-Gefängnis: Er hatte in Ost-Berlin einen geschassten MfS-Mitarbeiter bei dessen Fluchtvorbereitungen unterstützt. Nach seiner Entlassung berichtete „Piero“ der Stasi über die türkischen Vereinigungen „Graue Wölfe“ und „Milli Görüs“ und verriet Fluchtpläne von DDR-Bürgern. Diese drei türkischstämmigen West-Berliner mussten sich nach 1989 vor bundesdeutschen Gerichten wegen des Vorwurfs der Spionage verantworten.

An ihrem Beispiel beschreibt Georg Herbstritt, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit, in seiner Studie „West-IM nicht-deutscher Herkunft“ (wir berichteten), wie die Stasi vor allem unter den damals 115000 türkischen Staatsangehörigen in West-Berlin Zuträger fand. Monatlich reisten 6000 Türken zu Tagesaufenthalten nach Ost-Berlin ein. 1981 wurde in einer Bilanz der MfS-Hauptabteilung II festgestellt, dass die DDR-Grenzkontrolleure „hunderte Kontaktanschriften und Telefonnummern von DDR-Bürgerinnen“ bei ihnen registrierten.

Aus den Kontakten ergaben sich häufig feste Beziehungen, die zu Ausreisen aus der DDR führten. Als in den 70er Jahren und auch nach dem Militärputsch in der Türkei im September 1980 die politischen Konflikte verstärkt auch im Ausland ausgetragen wurden, fürchtete die Stasi, dass Vertreter extremistischer türkischer Gruppierungen in West-Berlin auch die Sicherheit in der DDR bedrohen könnten. Schon Ende der 70er Jahre hatte die Stasi allein in Kreuzberg über zwanzig türkische „faschistisch-nationale, rechtsradikale und religiös-fanatische Tarnorganisationen“ ausgemacht. In einer groß angelegten „Aktion Ankara“ verstärkte das MfS im Sommer 1981 die Einreisekontrollen bei Türken und schickte viele von ihnen an der Grenze nach West-Berlin zurück. Die Landsleute waren verunsichert – doch Mielkes Gewährsleute blieben unerkannt.

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