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Bürger-Steig. Hinter der Initiative gegen Werbung stecken vor allem junge konsumkritische Akademiker. Am Sonnabend trafen sie sich in der Schlesischen Straße.

© Stefan Jacobs

Aktion gegen Werbung im Straßenland: Konsumkritiker reklamieren Reklame

In Kreuzberg treffen sich Aktivisten vom „Amt für Werbefreiheit und Gutes Leben“. Sie wollen erst den Bezirk und dann die ganze Welt von Großplakaten in der Öffentlichkeit befreien.

Kreuzberg ist noch nicht wirklich wach, als am vernieselten Samstagmorgen das „Amt für Werbefreiheit und Gutes Leben“ eröffnet wird. Eine Behörde, die einerseits ein bisschen gaga ist, andererseits aber bürgernah. Vor der spätestens seit Vertreibung des BMW-Guggenheim-Lab berühmt gewordenen Brache an der Schlesischen, Ecke Cuvrystraße trifft sich das Pseudo-Amt zur ersten öffentlichen Veranstaltung. Die etwa 15 aktiven Mitarbeiter sind an mutmaßlich selbstgebastelten rosa Krawatten zu erkennen, die in etwa gleicher Zahl erschienenen Sympathisanten an Pappschildern, auf denen „Wir sind die Stadt“ steht und „Werbung ist Moppelkotze“.

Einer, der sich als Pressesprecher vorstellt und eine ironisch gemeinte Brille im Alter-Opa- beziehungsweise Hipster-Design trägt, kündigt ein „Grußwort vom Ministerium für Glück und Wohlbefinden“ an. Zwei Polizisten beobachten die als Demo angemeldete Szene von ihrem Auto aus. Dann parkt vor ihnen ein – immerhin werbefreier – Lieferwagen quer über den Gehweg ein und versperrt ihnen die Sicht. Die Krawattenleute wuseln jetzt um ein Rednerpult, das sie vor eine verhüllte Werbetafel auf den Gehweg geschleppt haben. Das wie eine Moderation im Frühstücksradio von Frauen und Männern im Wechsel vorgetragene Grußwort handelt von „verantwortungsvollem Umgang mit Werbung und den Medien“, von „öffentlichem Diskurs“ und davon, den Fokus auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu legen.

Wie zum Hohn grinst von einer Brandmauer schräg gegenüber ein fetter Burger mit Zwei-Euro-Preisschild auf die Demonstranten herab. Es sind zumeist studierte oder studierende Menschen zwischen 18 und Ende 30, die sich über einen konsumkritischen Verein und Facebook gefunden haben. Der Jüngste heißt Yago und schläft im Kinderwagen. Es ist schon seine zweite Kundgebung in den zweieinhalb Monaten seit seiner Geburt. „Wir waren neulich schon bei der Umverteilen-Demo dabei“, berichtet seine Mutter. Vom Rednerpult her tönt es, Werbung hintergehe den freien Willen, bedeute Stress und befördere die Ressourcenverschwendung sowie Stereotype bis hin zu Rassismus. Ergo verhindere sie das „gute Leben“. Es geht um Außenwerbung, die unentrinnbar sei – auch in Berlin, wo laut der Rednerin 18 000 Werbetafeln in der Öffentlichkeit stehen und dafür sorgen, dass der Durchschnittsmensch im Laufe eines Tages mit rund 3000 Werbebotschaften behelligt werde. „Außenwerbung trifft jeden“, zitieren die Gegner den einschlägigen Fachverband. São Paulo und drei US-Staaten hätten sie bereits verboten. Jetzt ist nach dem Willen der Demonstranten Friedrichshain-Kreuzberg dran.

Als Anfang haben sie beim Feind für 200 Euro ein Großplakat gemietet, das nun mit Trommelwirbel als „erste befreite Werbetafel Berlins“ enthüllt wird. Es ist weiß. Theoretisch hätten sie es auch einfach überkleben können, aber praktisch hätten sie sich dafür wohl eine Anzeige eingefangen. Die Mietzahlung sei heiß diskutiert worden, berichtet der Pressesprecher. Aber am Ende habe man dann doch auf eine unbedingt legale Variante Wert gelegt. Eine Mitstreiterin weiß, dass der Preis günstig sei, weil hier „keine A-, sondern eine B- oder sogar C-Lage“ sei. Der momentane Passantenstrom spricht eher für C bis D, aber das mag auch am kalten Niesel liegen, der die Menschen krümmt wie die gerade erst überstandenen fünf Wintermonate.

Mit Leitern und bereitstehender Farbe werden die 20 Quadratmeter in Beschlag genommen. Eine Sonne, bunte Früchte, lachende Bäume, Slogans wie auf den Schildern. Die vereinzelt vorbeikommenden Passanten erhalten Flyer, deren orange ein bisschen nach CDU aussieht und die unter dem Slogan „Niemand soll mehr haben wollen müssen“ geistiges Futter für den weiteren Weg enthalten.

„Wir wissen ja gar nicht mehr, wie eine Stadt ohne Werbung aussieht“, resümiert die letzte Rednerin. „Ick weeß et noch“, murmelt ein anwesender Fernsehreporter mit ostdeutschen Wurzeln. Hinter ihm schaut einer der Polizisten vorbei und blickt zufrieden auf den Verlauf der Kundgebung, bevor er wieder hinter dem Lieferwagen verschwindet. Der für den 1. Juni geplante „Tag der Werbefreiheit“ verspricht äußerst friedlich zu werden.

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