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Aktion "Saubere Sache" in Berlin: Sauber macht lustig

Seit Freitag reinigen Hunderte Berliner gemeinsam mit dem Tagesspiegel ihre Stadt – und erobern sie sich zurück. Denn Freiheit ist immer die Freiheit des woanders Tretenden.

Der Gärtner ist der natürliche Feind des Dealers, und deswegen ist es schon ein bisschen gewagt, was sich die kleinen Kivis an diesem Vormittag vorgenommen haben. Rasen und Pflanzen gießen und Müll sammeln in der Hasenheide. Also dort, wo junge Start-up-Unternehmer ganz gern ihre Beutelchen verstecken, zwischen Pflanzen oder unterm Rasen. Unwissende Gärtner könnten diese Beutelchen schon mal als Müll deklarieren.

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Die kleinen Kivis schreckt das nicht. Sie sind zwischen drei und sechs Jahre alt und besuchen den Kindergarten in der Kindervilla an der Hasenheide, die sie der Einfachheit halber Kivi nennen. Gleich neben der Villa beginnt der Volkspark, den das gemeine Volk an manchen Stellen und zu manchen Zeiten eher meidet. An diesem Freitagvormittag aber herrscht idyllische Ruhe. Die Herren Dealer sind nicht zugegen, jedenfalls nicht rund um die Wiese, die sich die kleinen Kivis zum Gießen und Säubern ausgeguckt haben.

Die kleinen Kivis aus der Wissmannstraße zählen zu den jüngsten Mitstreitern für die vom Tagesspiegel initiierte „Saubere Sache“, die am Freitag begonnen hat und am Samstag ihre Fortsetzung erfährt. Saubere Sache – das heißt auch, sich den öffentlichen Raum zurückzuholen, der irgendwann und irgendwie einmal verloren gegangen ist. Der öffentliche Raum ist nicht immer so grün und weitläufig wie an der Hasenheide. Ein paar Straßen weiter wartet der Boddinplatz auf helfende Hände. Das Areal ist vor drei Jahren mit Unterstützung der EU umgestaltet worden und könnte durchaus eine Oase sein im steinernen Neukölln. Aber der schönste Platz lädt nicht zum Verweilen, wenn die Umgebung im Zeichen des üblichen Straßenmülls steht. Im konkreten Fall besteht er aus Zigarettenschachteln, Kaffeebechern, Bierflaschen und einer nur zur Hälfte verspeisten Pizza.

Müllsammeln als ganz neuer Kick

Dies zu ändern haben sich die Schüler der nahe gelegenen Hermann-Boddin-Schule zur Aufgabe gemacht. Um kurz vor neun marschieren sie auf, kleine Wichtel in orangefarbenen Westen, gesponsert von der Stadtreinigung mit dem Schriftzug „Kehrenbürger“ auf dem Rücken. „Jetzt geht’s los“, ruft einer, ein Mädchen trällert: „Wir machen die ganze Straße sauber.“ In Zeiten von Facebook und WhatsApp ist Müllsammeln ein ganz neuer Kick. Die Besen und Harken sind ein bisschen groß für die Kehrenbürger, aber das stachelt ihren Ehrgeiz erst richtig an. „Wo sind denn meine Kinder?“, ruft eine begleitende Lehrerin. Na, vorn am Boddinplatz sind sie, beim Aufklauben der Flaschen und Dosen und Becher, nicht mal vor der großzügig verteilten Hundekacke machen sie halt.

Die Arbeit wird ihnen so schnell nicht ausgehen, dafür sorgt schon der junge Mann mit dem riesigen Dobermann, den ein größeres Geschäft drängt. Der Berliner dehnt seinen Freiheitsbegriff bekanntlich gern aus und fühlt sich schon eingeengt durch den Hinweis, er möge die Hinterlassenschaft seines besten Freundes doch bitte selbst beseitigen. Freiheit ist aber immer auch die Freiheit des woanders Tretenden. Diese Erfahrung machen an diesem Vormittag die Kehrenbürger vom Boddinplatz, und vielleicht erwächst daraus ein anderes Verantwortungsbewusstsein für den öffentlichen Raum.

Berlin würde Kehrwochenmentalität ganz guttun

Dieses Bewusstsein wächst, auch an anderen Orten der Stadt. Etwa in Charlottenburg, wo die Anwohner am Lietzenseepark vor ein paar Jahren mal mit auffällig platzierten Babywindeln gegen die Hundekackenplage demonstrierten. Am Freitag sagt eine Kindergartengruppe mit dem schönen Namen Kiezrabauken der Vermüllung den Kampf an. In Friedenau lädt der Diakonieladen zum Sammeln auf dem Grazer Platz. Zur Mittagsstunde stehen schon zehn prall gefüllte Müllsäcke am Rand des Rasengevierts. Und ganz besonders gut funktioniert das bürgerliche Engagement bei den Berlinern, denen die Ureinwohner wegen ihres Migrationshintergrundes gern eine Kehrwochenmentalität nachsagen (und das keineswegs positiv meinen).

Zum Beispiel am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg. Aus politisch korrekter Sicht ist die schwäbische Invasion hier natürlich aufs Schärfste zu verurteilen. Gentrifizierung und so. Aber was den Bürgersinn betrifft, würde Berlin ein bisschen mehr Kehrwochenmentalität ganz guttun. Am Kollwitzplatz hat sich der Kindergarten Schönhauser Allee zur Säuberung des Spielplatzes angesagt. Das ist ein undankbares, weil eigentlich überflüssiges Projekt. Nach eingehender Inspektion finden sich auf dem gesamten Areal: ein Strohhalm, ein Buddelförmchen, zwei Kippen und allerlei Herbstlaub, aber das könnte saisonale Gründe haben.

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