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Gartenguerilla. Petrus Akkordeon aus Lichterfelde pflanzt seit Jahren Blumen auf der Verkehrsinsel an der Königsberger Straße.

©  Thilo Rückeis

Aktion "Saubere Sache" in Berliner Kiezen: Baumscheiben-Paradiese

Baumscheiben bepflanzen? Parkbänke streichen? Oft verbieten Berliner Behörden Bürgern ihr Engagement im Kiez. Doch die lassen sich nicht abschrecken. Wir präsentieren fünf Beispiele – und nehmen die Politik in die Pflicht.

Hochgeschossenes Unkraut und nacktes Erdreich, mehr gibt es nicht im Geviert um die alten Bäume in der Rykestraße. Ein trostloser Anblick. Si An Troung zieht hilflos die Schultern hoch. „Das Amt wollte es so“, sagt der Gastronom resigniert. Im Sommer 2013 sah es hier vor seinem vietnamesischen Restaurant in Prenzlauer Berg noch ganz anders aus. Fünf Jahre lang waren die großen Baumscheiben grün bepflanzt und gepflegt, und Si An Troung hatte die Baumscheiben-Paradiese noch durch Blumenkübel ergänzt. Eine Zierde für die Rykestraße. Bis das Grünflächenamt im Juni 2013 einen Bußgeldbescheid schickte: „... fordern wir Sie auf, die Baumscheiben von privater Nutzung und Ausstattung zu beräumen“, hieß es da. Si Ans Widerspruch blieb erfolglos, das Bezirksamt Pankow unerbittlich – bis hin zum happigen Bußgeld für den Wirt. Die Flächen um die Bäume zu bepflanzen, „ist weiterhin eine Herzenssache“, beteuert der Gastronom. „Das Amt möchte aber lieber nackte Stämme und Hundedreck haben, anstatt Menschen die Baumscheiben verschönern zu lassen.“

Wird so bürgerschaftliches Engagement befördert, das die Stadt verschönert? Wohl eher nicht. Si An Troung hat freilich auch festgestellt, dass in den Bezirken sehr unterschiedlich gehandelt wird. Im Bezirk Mitte, wo er zwei weitere Restaurants betreibt, habe er bei Straßenverschönerungen nur positive Erfahrungen mit dem Amt gemacht. „Warum funktioniert das in Mitte und nicht in Pankow?“, fragt er deshalb ratlos.

Von Behinderungen erzählen auch andere Berlinerinnen und Berliner, die sich engagieren wollen. Im vergangenen Jahr wollten etwa das Hotel Intercontinental und das Franziskus-Krankenhaus in Tiergarten die Budapester Straße verschönern. Geplant war, das schmucklose Erdreich rund um die Straßenbäume vor dem Fünf-Sterne-Hotel und der katholischen Klinik mit Pflanzen zu verschönern. Das Grünflächenamt stimmte auch zu, nachdem man das Amt gefragt und fachgerechte Pläne der gärtnerischen Verschönerungsaktion vorgelegt hatte. Wenig später aber folgte dann aber ein ablehnender Bescheid.

Das Ergebnis: In der Budapester Straße, wegen der Nähe des Zoologischen Gartens und der City West ein von Touristen stark frequentierter Bereich, gibt es nun weiterhin nur ungepflegte Baumscheiben.

Ein Vorgang, der typisch dafür ist, wie Verwaltungen engagierte Berliner auflaufen lassen, sagt Beate Ernst, Sprecherin der Initiative WirBerlin, die sich seit Jahren für eine Stadtverschönerung einsetzt und gemeinsam mit dem Tagesspiegel und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband den Aktionstag „Saubere Sache“ für ein schönes Berlin am 12. und 13. September veranstaltet. Dann werden wie bei den vorangegangenen zwei Aktionstagen viele Initiativen zeigen, dass sie sich für die Stadt engagieren – auch Widerständen zum Trotz. „In den zwölf Bezirken wird die Pflege von Baumscheiben völlig unterschiedlich gehandhabt“, sagt Beate Ernst. „Mal darf nicht um junge Bäume gepflanzt werden, im anderen Bezirk nicht um alte Bäume, in einem Bezirk sind niedrige Umgrenzungen erlaubt, woanders verboten.“

Der Kiez will den "bürokratischen Irrlauf" nicht akzeptieren

Gartenguerilla. Petrus Akkordeon aus Lichterfelde pflanzt seit Jahren Blumen auf der Verkehrsinsel an der Königsberger Straße.
Gartenguerilla. Petrus Akkordeon aus Lichterfelde pflanzt seit Jahren Blumen auf der Verkehrsinsel an der Königsberger Straße.

©  Thilo Rückeis

Es gibt viele weitere Beispiele dafür, wie Menschen, die sich vor ihrer Haustür für eine schönere Stadt einsetzen wollen, entmutigt werden. Wie sehr das vom jeweiligen Bezirk abhängt, weiß auch Alexander Pinkas von der Firma Umweltconsulting, die vor allem Projekte im Bezirk Neukölln betreut und sich ebenfalls seit Jahren bei der Aktion „Saubere Sache“ engagiert. Gerade erst haben die Mitarbeiter in Donaukiez und Flughafenviertel die Initiative von Mietern begleitet, die Baumscheiben bepflanzt haben. In Neukölln laufe das gut, wenn das Quartiersmanagement beteiligt sei, sagt Pinkas. Doch jeder Bezirk habe eben eigene Regeln, manche Verwaltungen seien entgegenkommend, andere abweisend. Insbesondere aus Charlottenburg-Wilmersdorf sind immer wieder Klagen zu hören. Da werden Bepflanzungen beseitigt und den Bürgern die Kosten in Rechnung gestellt – „wegen nicht ordnungsgemäßer Nutzung des Straßenlands“. Letzteres insbesondere dann, wenn Baumscheiben mit kleinen Einfassungen umgeben werden, um die Blumen gegen Hunde zu schützen.

Immer wieder blockieren die Ämter das Engagement der Bürger

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hält sich aus alledem raus; für sie ist die Verschönerung von Baumscheiben eindeutig Sache der Bezirke. „Wir brauchen ein berlinweites Regelwerk“, sagt dagegen der Abgeordnete Turgut Altug (Bündnis90/Grüne): „Der Bezirk A sagt Ja, der Bezirk B sagt Nein, das entmutigt Menschen, sich zu engagieren“. Dabei sei gerade die Pflege von Baumscheiben vor ihrer Haustür oft ein Einstieg für Menschen, sich für den Kiez einzusetzen. „Die Verwaltungen müssen entgegenkommender sein und es den Bürgern leichter machen, sich für das Stadtgrün einzubringen“, fordert Altug.

Die Kultur des Ärmel-Aufkrempelns vor der eigenen Haustür hat sich in den vergangenen Jahren in Berlin spürbar entwickelt. Doch anstatt sie durch Entgegenkommen zu unterstützen, werden Ämter oft auf ganz andere Art und Weise aktiv. Dann nämlich, wenn sie im Engagement Kritik am Amte wittern. Da wird schon mal kurzfristig eine städtische Gärtnerkolonne in Gang gesetzt, um die Hecken auf einem ungepflegten Platz picobello zu trimmen, sobald der Verwaltung ein entsprechender Aufruf von Bürgern an Bürger bekannt wird, am Aktionstag just diesen Platz herzurichten.

Reiner Zufall, heißt es dann bei Nachfrage. Oder die Verschönerung von vernachlässigten Parkbänken durch einen neuen Anstrich wird vorneweg mit dem Hinweis ausgebremst, dass dies nur durch autorisierte Fachkräfte geschehen dürfe.

Im Bezirk Steglitz-Zehlendorf verbot die Verwaltung im Sommer 2013 einer Anwohner-Initiative am Hermann-Ehlers-Platz gar, mit Wasser aus dem Brunnen die dürstenden Pflanzen in den selbst angelegten Hochbeeten zu gießen. Begründung: fehlende Genehmigung. Dabei war die Verschönerung des Platzes das Ergebnis eines vom Roten Kreuz Süd-West initiierten Runden Tisches. Erst nach öffentlichen Protesten lenkte der Stadtrat ein.

Die Ämter fühlen sich behindert, wenn Bürger selber etwas anpacken, glaubt Funken

Auch anderswo hat der Protest gegen Anordnungen der Bezirksverwaltung schließlich Erfolg gehabt: Im vergangenen Jahr flatterte Heiner Funken eine schriftliche Aufforderung des Ordnungsamtes Pankow auf den Tisch. Hauseigentümer in der Kopenhagener Straße sollten die Begrünungen am Straßenrand beseitigen.

Die Bürgersteige sollten „bereinigt“ werden, hieß es im schönsten Amtsdeutsch. Das Vergehen: „unerlaubte Benutzung des Straßenlands“. Der seit Jahren im Kiez engagierte Heiner Funken aber wollte diesen „bürokratischen Irrlauf“ nicht akzeptieren und rief zum Widerstand auf. „Wir werden die Kopenhagener Straße nicht dem verirrten Amtsschimmel überlassen, sondern mit den sanften Mitteln der Pflege und Begrünung unsere Straße vor den Schildbürgerstreichen des Ordnungsamtes schützen“, schrieb er. Mit Erfolg. Die bepflanzten Baumscheiben gibt es hier auch in diesem Jahr.

Woran aber liegt es nun, dass Behörden wohlmeinende Bürger auch dann nicht gewähren lassen, wenn ihre Aktionen offensichtlich niemanden stören? Ämter fühlen sich behindert, wenn Bürger selber etwas anpacken, glaubt Funken. Entmutigen lässt man sich in Prenzlauer Berg aber nicht: Die Initiative „Koppegärtner“, der auch Funken angehört, kümmert sich weiterhin um die Verschönerung des Gleimviertels, etwa durch die Aktion „Nachbars Braten“. Am 6. September sind alle Anwohner aufgerufen, auf der Straße ein großes Festessen zu veranstalten. Vom Ordnungsamt wurde man schon informiert, dass dafür eine Genehmigung und eine Veranstaltungsversicherung nötig seien, berichtet Funken – und kommt zu einem ernüchternden Fazit: „Eigeninitiative wird geduldet, aber nie geliebt.“

Das sagt der Politiker: Stadtrad Jens-Holger Kirchner im Gespräch

 Jens-Holger Kirchner, 54, ist u.a. Stadtrat für Stadtentwicklung sowie Tiefbau- und Landschaftsplanung in Pankow für Bündnis 90/Grüne.
Jens-Holger Kirchner, 54, ist u.a. Stadtrat für Stadtentwicklung sowie Tiefbau- und Landschaftsplanung in Pankow für Bündnis 90/Grüne.

© Mike Wolff

Viele Menschen wollen sich engagieren, klagen aber, Ämter machten es ihnen schwer.

Wir werben um Engagement, aber Beteiligung braucht Regeln. So ist etwa nicht jede Pflanzenart geeignet, einige entziehen Bäumen die Nährstoffe. Oder es wird Erde angehäufelt mit der Folge, dass Wurzeln faulen und der Baum abstirbt.

Die Bepflanzung einer Baumscheibe vor ihrer Tür ist für viele ein Beginn, sich für ihren ganzen Kiez zu engagieren.

Ja, denn wo geht das so leicht, wenn nicht unmittelbar vor der Haustür? Da wachsen dann Verantwortung und teilweise wunderschöne Baumscheiben. Eigennutz und Gemeinwohl kommen da ziemlich nah zueinander. Es ist Menschen wichtig, vor ihrer Tür einen schönen Baum zu haben, es ist aber nicht nur Privatsache.

Braucht es einheitliche Regelungen?

Nein, das soll jeder Bezirk machen, wie er es für richtig hält. Die Stadt ist vielfältig, einheitliche Regelungen machen wenig Sinn, weil die Situation in Spandau eine andere ist als in Kreuzberg. Ämter haben die Pflicht, Eigeninitiative zu unterstützen. Aber es darf keine Einbahnstraße sein, wo jeder machen kann, was er will, sondern es geht auch um Sicherungspflicht und Baumgesundheit.

Ist es sinnvoll, Pflegeverträge zu schließen, damit sich Menschen dann auch über längere Zeit verantwortlich kümmern?

Das machen wir. Das wirkt erst mal bürokratisch, drückt aber eine Wertschätzung für den Engagierten aus. Pflegevertrag heißt ja auch, dass wir – wie in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg – zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stellen. Bei einem Vertrag ist der Bürger nicht Bittsteller, er vereinbart etwas auf Augenhöhe mit der Verwaltung. Und alle haben was davon, der Engagierte, die Bäume und der öffentliche Raum. Wenn die Baumscheibe dauerhaft gepflegt wird, dann kann man als Amt auch investieren, etwa eine Bank aufstellen. Da wissen wir ja, dass sich dann Menschen um die Bänke kümmern. So wächst auch Nachbarschaft.

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