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Berlin: Akute Pudelgefahr in Washington

Merkel kann Bushs Amtszeit nur mit Anstand aussitzen

Von Alexander Graf Lambsdorff

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird nachgesagt, viel von ihrem politischen Lehrer Helmut Kohl gelernt zu haben, zu dessen herausragenden Eigenschaften die Fähigkeit gehörte, Probleme auszusitzen. Ein solches Problem wird Frau Merkel diese Woche in Washington persönlich treffen: US-Präsident George W. Bush. Im Wahlkampf hat Merkel versprochen, die von ihrem Vorgänger schwer beschädigten transatlantischen Beziehungen wieder ins Lot zu bringen.

Politisch ist das zweifellos richtig, es gibt nur ein Problem: Die Menschen in Deutschland und Europa blicken mit unverhohlener Skepsis über den Atlantik. In der neuesten Umfrage des German Marshall Fund of the United States sprechen sich 57 Prozent der Europäer und 60 Prozent der Deutschen gegen eine Führungsrolle der USA in der internationalen Politik aus. Dabei differenzieren die Befragten durchaus zwischen den USA und ihrem derzeitigen Präsidenten. Dies macht die Sache jedoch nicht besser, sondern noch schwieriger, denn die Ablehnung konzentriert sich besonders auf die Person des Präsidenten der USA, der als Personifizierung rigider Machtpolitik angesehen wird: 72 Prozent der Befragten in Europa und 83 Prozent in Deutschland lehnen die Außenpolitik von George W. Bush ab.

Angesichts solcher Zahlen ist die Wiederherstellung eines unbelasteten und freundschaftlichen Verhältnisses trotz aller Partnerschaftsbekundungen in der verbleibenden Amtszeit des 43. Präsidenten nicht mehr zu erwarten. Nähe zu Bush ist in der öffentlichen Meinung in Europa eine politische Belastung. Tony Blair mutierte in zahllosen Karikaturen gar zu „Bushs Pudel“.

Niemand kennt dieses Problem besser als Frau Merkel, die sich im Vorfeld des Irakkrieges durch einen Bush-freundlichen Artikel in der „Washington Post“ selbst in akute Pudelgefahr gebracht hatte. Wenn Frau Merkel dieses Risiko nicht noch einmal eingehen will, bleibt ihr bis zum 4. November 2008, dem Tag der nächsten Präsidentschaftswahlen, für die transatlantische Partnerschaft nur eines: das Problem George W. Bush aussitzen, keine zu große Nähe suchen und keine gemeinsamen neuen Initiativen anstoßen.

Aussitzen ist aber nicht gleichbedeutend mit Nichtstun. Aus drei Gründen wäre das auch keine Option: Erstens ist die internationale Agenda voller Herausforderungen, die unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle zwischen den Regierungen besprochen und bearbeitet werden müssen. Zweitens sind US-Präsidenten in ihrer zweiten Amtszeit traditionell außenpolitisch aktiver, was auch bei George Bush zu erwarten steht, besonders angesichts seiner wachsenden innenpolitischen Schwierigkeiten. Sein erster Besuch nach der Wiederwahl führte ihn Anfang 2005 nach Brüssel und war der bewusste Versuch, auf die Europäer zuzugehen. Er blieb allerdings folgenlos für seine Umfragewerte in Europa, wie die Umfrage des Marshall Fund zeigt.

Drittens muss die Zeit genutzt werden, um die Agenda für die Zeit nach Bush aufzustellen. Demokratieförderung und Armutsbekämpfung, eine Strategie für den Umgang mit China, Russland und Indien, die Gestaltung der Globalisierung, die Schaffung eines transatlantischen Marktes und der Klimaschutz nach Kyoto sind nur einige der Herausforderungen, bei denen eine engere Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA dringend nötig ist. Sie alle erfordern politischen Weitblick und einen langen Atem. So gesehen, sind die 34 Monate bis zur nächsten Wahl in den USA gar nicht so lang – Kohl hätte das geschafft.

Der Autor ist außenpolitischer Sprecher der FDP im Europaparlament.

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