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Berlin: Albrecht Kunkel (Geb. 1968)

Für sein Geheimnis fand er keine Worte. Dafür aber die Bilder.

Da ist diese Fotoserie. „Vielleicht“, sagen die Eltern, „vielleicht ist das sein Abschiedsgruß.“ Weil er auf Gefühlsausbrüche anderer mit Rückzug reagierte und wenig über die eigenen Empfindungen sprach, mögen manche ihn als verschlossen eingeschätzt haben.

Doch das Gegenteil war der Fall. Albrecht Kunkel war sehr empfindsam. Umso wohler fühlte er sich in der Dunkelkammer, die er sich mit 15 Jahren im Keller der Eltern einrichtete. Ein magischer Ort, an dem er das Aufgenommene auf Fotopapier bannen konnte.

Dass er die Fotografie zu seinem Beruf machen würde, ahnte er da noch nicht. Aber er wusste: Er wollte die Welt abbilden. So vieles um ihn herum lag in Unschärfe. Zum Beispiel das Land hinter der Mauer, an die das West-Berliner Kind beinahe täglich stieß. Was verbarg sie noch, außer den Hunden, den Grenzsoldaten und der Transitautobahn?

Die Erwachsenen redeten von der DDR, von der Sowjetunion, vom Kommunismus. Besonders erhellend fand Albrecht das nicht. Nach dem Abitur in den achtziger Jahren reiste er nach Russland. Als er zurückkehrte, schwärmte er von den Begegnungen mit den Russen. Und erzählte von dem Roten Platz: So riesig, so leer, so kalt. Wie konnte inmitten von so viel Herzlichkeit so ein Platz existieren?

Er beschloss, Politologie zu studieren. Und begann bald, sich zu langweilen. Vielleicht, so überlegte er, ist die Kunst das bessere Instrument, um dem Leben auf die Spur zu kommen. Der Lette-Verein nahm ihn sofort.

Mit 25 Jahren stellte er seine erste Fotoserie aus: Hai-Aquarien und vom Wintersport zerstörte Berge. Dazu ein Video, das ihn selber zeigte: Ein Mann, der läuft und läuft, ohne vom Fleck zu kommen. „Der Mensch ist ein Irrläufer der Natur“, nannte er das Video.

Die technisch-ästhetische Durchdachtheit seiner Fotos, ihre sanfte, unaufdringliche Inszenierung, gepaart mit der Dramatik ihrer Erzählung, sein waches, unkorrumpierbares Wesen: Albrecht Kunkel galt fortan als Talent. Der Modefotograf Javier Vallhornrat holte ihn als seinen Assistenten nach Paris.

Albrecht Kunkel tauschte also die geschundene Natur gegen Modeschauen, Filmfestivals und Gesichter von Schönheiten und Künstlern, machte Fotos für Magazine, Agenturen und Unternehmen. Seinem nüchternen Stil blieb er treu. Auf einer Aufnahme für Chanel etwa wählte er eine Perspektive, die es erlaubt, nicht nur die Show zu betrachten, sondern auch die Kulissen des Laufstegs und wiederum das Gebäude, in dem die Kulissen stehen.

„Wenn ich deine Begabung hätte“, sagte eines Tages Vallhornrat, der ein guter Freund geworden war, „dann würde ich aufhören mit der kommerziellen Fotografie.“ Er sprach Albrecht Kunkel aus der Seele. Eine Erbschaft ermöglichte es ihm, sich neue Lehrmeister zu suchen: Bernd und Hilla Becher, Thomas Struth, Katharina Sieverding, bei der er Meisterschüler wurde. Unerbittlich in der Wahl seiner Mittel, seiner Themen und der Galerien ging er seinen Weg. Das Kunsthaus Lempertz hat im vergangenen Jahr einen Rückblick auf die einzelnen Stationen gezeigt: Tropfsteinhöhlen, versehen mit Malereien aus der Steinzeit. Mit im Bild sind immer die Eisengeländer, Maschendrahtzäune, Lampen, Betontreppen. Was den Zutritt erleichtern soll, hält den Bildbetrachter schmerzlich auf Distanz.

Verschiedene Aufnahmen einsam daliegender Felsen. Bei genauerer Betrachtung sind steinzeitliche Ritzungen und Bohrungen erkennbar: Die ersten Seiten also im Buch der Menschengeschichte. Die Natur aber schweigt. Milchig und verschlossen zeigt sich der Himmel, karg die Landschaft.

Beinahe so geheimnisvoll und überladen wie die Tropfsteinhöhlen sind die Geburtsgrotte und die Grabeskirche in Israel. Überall locken und leuchten die Reliquien. Klein, verschwommen und hilflos nehmen sich die Menschen darin aus. „Pilgrimage“ nannte er die Aufnahmen.

„Ein Pilgerer“, sagen die Eltern, „war er selber. Er suchte in der Geschichte, in der Gegenwart, in der Religion. Und in den großen Städten der Welt. Er liebte Paris und New York.“

Albrecht Kunkel hatte einen großen Freundeskreis. Er unterhielt sich gerne, lud zu sich ein, wusste zu genießen. Doch haftete ihm etwas an, das die Angehörigen als „Geheimnis“ bezeichnen. Etwas, für das er keine Worte fand. Dafür aber die Bilder.

Am Ende betrachtete er die Welt von oben. Er bearbeitete alte Luftaufnahmen des Militärs von der Gegend um Marfa, dem „Wilden Westen“. Wüstenlandschaften, einsam, unwirtlich.

Albrecht Kunkel gewann Preise und Stipendien, nahm teil an Ausstellungen renommierter Galerien, doch der große Durchbruch blieb aus. Von der Ausstellung bei Lempertz versprach er sich viel. Der Verkauf war enttäuschend. Die Erbschaft verbraucht.

Er sagte, er wolle wieder nach New York ziehen, wo ein Werbeunternehmen ihm ein Angebot gemacht habe. Bis dahin wohnte er für ein paar Tage bei seinen Eltern. „Albrecht geht es nicht gut“, erkannten die bald. Freunde kamen, sein Bruder, seine Lebensgefährtin. Wie ernst es um ihn stand, ahnte keiner. Er war ja immer noch zu seinem trockenen Humor fähig, vermied es, Mitleid zu erwecken.

Wenige Wochen vor seinem Tod ließ der Fotograf sich selber ablichten. Albrecht, der mit seiner Familie vor dem Elternhaus steht. Albrecht, der seine Mutter im Arm hält. Albrecht, mit seinem Neffen im Arm. Albrecht, allein. Albrecht, weit in den Hintergrund gerückt. Albrecht, der ganz verschwunden ist. Nur noch das Haus und der Garten. Ein großes Schweigen geht von diesem Bild aus. Anne Jelena Schulte

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