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© Mike Wolff

Alexanderplatz: Der Weltstadtplatz

Die alten Wolkenkratzer-Pläne sind passé, doch mit jedem neu eröffneten Geschäftshaus zieht der einst öde Alex mehr Menschen an. "Die Mitte" hat den Charakter des Platzes angenehm verändert. Er ist die neue wichtige Shopping-Adresse Berlins.

Kathrin Sauerbrey strahlt. „Hier ist doch was los, hier ist richtig Leben.“ Die junge Verkaufsmangerin arbeitet im neuen Geschäftshaus „Die Mitte“ und fühlt sich auf dem Platz „mittendrin in der Großstadt“. Noch hallt der Wirbel um die Eröffnungsfeier nach, die den Alexanderplatz in der Nacht zum Mittwoch fast zum Beben gebracht hat. Das neue Haus fügt sich in die Architektur ein, zieht noch mehr Leute an. Fast 400 000 passieren den Verkehrsknotenpunkt täglich, unter- und oberirdisch. Planer geben ihm beste Chancen, eine richtige Mitte zu werden.

„Die Mitte“ hat den Charakter des Platzes angenehm verändert. „Er ist kleiner und weniger zugig geworden“, sagt Silke Fürstenau von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Sie sitzt im 14. Stock des früheren „Haus des Reisens“ direkt am Platz und hat die beste Übersicht. Vor allem koordiniert sie die Planungen, hält Kontakt mit Investoren. Beim Blick von oben sagt sie: „Es ist wichtig, dass jetzt die östliche Platzkante geschlossen ist.“

Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) ist sicher, dass der Alex und das Areal um Fernsehturm und Rotes Rathaus „von größter Bedeutung für das Image der gesamten Stadt sind“. Wenn der Platz fertig sei, habe Berlin nach dem Breitscheid- und dem Potsdamer Platz den dritten wirklichen Weltstadtplatz.

Noch immer aber haftet dem Ort das Image der Öde und eines Ost-Zentrums an und der Ruf, einst zu große, vor allem bauliche Erwartungen geweckt und enttäuscht zu haben. 13 neue Wolkenkratzer, mit 150 Meter 25 Meter höher als das „Park Inn“, hätten spätestens bis 2010 hier stehen sollen – erwarteten die Stadtplaner nach dem städtebaulichen Wettbewerb 1993. Sie schwelgten in Träumen von der „Stadtkrone“, von immer mehr Büros – und verabschiedeten sich doch nach und nach von der Euphorie der Nachwendezeit. Jetzt sind noch zehn Wolkenkratzer geplant, Investoren haben sich in städtebaulichen Verträgen zum Bau verpflichtet, doch die Termine ziehen sich. Das Jahr 2018 ist einer der Fixpunkte. Noch können die potenziellen Bauherren nachweisen, dass sich ein Riese angesichts der Marktlage nicht rechnet. „Keiner will, dass Investoren insolvent werden und ein angebrochenes Hochhaus stehenbleibt“, sagt Silke Fürstenau. Hochhäuser könnten unter anderem Sonae (mit dem „Alexa“), Blackstone (mit dem Hotelkomplex Park Inn) und Metro (mit dem Kaufhof) errichten. Die Stadt hat ihre Aufgaben weitgehend erledigt, Leitungen verlegt, Trassen für die Straßenbahn gebaut, den Platz neu gestaltet, fast neun Millionen Euro in die Infrastruktur gesteckt. Die Tiefgarage für 600 Fahrzeuge wird vermutlich Ende 2010 fertig.

„Ich warte täglich auf den Anruf eines Investors, dass er ein Hochhaus bauen will“, sagt Silke Fürstenau und lächelt. Sie wünscht, dass es schneller geht. Seit 2000 arbeitet sie hier, das Signal für ein Hochhaus hat sie noch nicht vernommen. In ihm könnten Büros, Hotelzimmer, auch Wohnungen Platz finden. Das Haus des Reisens, in dem sie sitzt, ist gut 30 Jahre alt. Auch hier ist ein neues Hochhaus vorgesehen.

Das Unternehmen Hines, Bauherr des Geschäftshauses „Die Mitte“, hat zumindest den Anfang gemacht und 16 Jahre nach dem städtebaulichen Wettbewerb den ersten Neubau errichtet. Es ist ein Sockelbau, ein Zwerg, verglichen mit den angekündigten Riesen, aber schon 2011 könnte an seiner Brandwand ein Hochhaus entstehen, kündigt Christoph Reschke vom Unternehmen Hines an. Im nächsten Jahr werden Vermarktungschancen erkundet. Ist das Hochhaus erst im Bau, könnte es, so Silke Fürstenau, Projekte beflügeln. Schon jetzt boomt es, sagt Geschäftsführer Detlef Steffens von der Galeria Kaufhof, engagiert in der Interessengemeinschaft Alexanderplatz. Nun müsse nur die Tiefgarage fertig werden. Rund 10 000 neue Hotelbetten in der weiteren Umgebung machten sich bemerkbar. Der Platz sei kein Treffpunkt des Ostens mehr, werde von den Touristen und den Berlinern aus beiden früheren Stadthälften gleich frequentiert.

So schön die Randbauten geworden sind, so sehr sich der Einzelhandel freut – es gibt optische Schwachpunkte: Die neuen Granitbänke sind voller Graffiti, die Pflege ist teuer. Die Kaugummireste auf dem Platz erbosten schon den Regierenden Bürgermeister. Gerade zur wärmeren Jahreszeit treffen sich hier auch „Problemgruppen“.

Gottfried Kupsch von der Arbeitsgemeinschaft City (West) streitet der Ost-Konkurrenz die Einmaligkeit ab. Das Angebot sei beliebig, bis auf das Einkaufszentrum Alexa sehe er nichts Besonderes. Der Platz habe zwar eine extreme öffentliche Anbindung, aber es fehlten ihm die lebendigen Nebenstraßen mit kleinen Gewerbetreibenden, er brauche zumindest die städtebauliche Verknüpfung mit dem Hackeschen Markt. „Zum Kurfürstendamm und zur Tauentzienstraße kommen täglich über 300 000 Leute – zum Einkaufen, nicht zum Umsteigen.“

Hildegard Felgentreu wohnt in der nahen Frankfurter Allee. Sie sitzt im Restaurant des Alexanderhauses und denkt an früher. Sie ist 85 Jahre alt, war vorm Krieg mit ihren Eltern oft auf dem Platz. „Bei Aschinger haben wir billig Eisbein und Würstchen gegessen.“ Sie findet die „Neue Mitte“ zu nüchtern, vermisst ein Stück Gemütlichkeit. In der Passage ziehen Scharen mit Einkaufstüten vorbei. „Die jungen Leute nehmen den Platz an“, sagt sie. „Aber mir ist es hier zu kalt.“   

Christian van Lessen

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