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Berlin: Alle mal aufgepasst

Die Deutschen sind faul – vor allem, was die Prävention von Krankheiten angeht. Das steht in einem neuen großen Ratgeber. Was man wissen muss, um sich vor Krebs, Herzinfarkt, Osteoporose oder Zahnweh zu schützen

Die Deutschen werden sich umgewöhnen müssen. Was das Vorbeugen von Krankheiten angeht, sagt Rainer Jund, gehören sie zu den Schlusslichtern in Europa. In Deutschland litten doppelt so viele Menschen an Bluthochdruck wie in den USA. Die Schlaganfallrate sei doppelt so hoch wie die der Nachbarländer. Zumindest die Männer seien im Europavergleich fast die dicksten. Und nirgendwo auf der Welt gebe es mehr Zigarettenautomaten. Deshalb hat Jund, der als HNO-Arzt und Medizinjournalist arbeitet, mit zwei Arztkollegen nun einen großen Ratgeber vorgelegt, der hilft, in Zukunft besser auf sich aufzupassen und das Risiko zu mindern, Krebs, Knochenschwund oder einen Herzinfarkt zu bekommen – oder auch nur Löcher im Zahn. Denn die Gesellschaft, sagt Jund, wird sich die explodierenden Kosten für die Reparaturmedizin in Zukunft nicht mehr leisten können. Ein Drittel aller behandelten Leiden wäre durch Prävention vermeidbar gewesen. Und diese verursachen weit über die Hälfte der Kosten. Hier also ein kleiner Leitfaden fürs gute Gewissen.

GEWICHT

Zwei Drittel der deutschen Männer und die Hälfte der Frauen sind übergewichtig und damit anfällig für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Gicht. Übergewichtige erkranken auch deutlich häufiger an Nieren-, Dickdarm oder Gallenkrebs. Wie gefährlich das angesammelte Fett für den Körper ist, hängt von seiner Verteilung ab: Ablagerungen an Gesäß, Hüfte und Oberschenkeln – der klassische Birnentyp – kann der Körper verkraften. Problematisch ist der Apfeltyp mit erhöhtem Bauchumfang. Hier hat sich das Fett in der Tiefe des Bauchraumes rund um die inneren Organe abgelagert. Das setzt laufend Fettsäuren frei, die den Stoffwechsel ungünstig beeinflussen und die Gefäßwände angreifen.

Ob man selbst betroffen ist, sagt einem das Maßband: In Bauchnabelhöhe umlegen, leicht ausatmen und ablesen. Frauen sollten ab einem Umfang von 88 Zentimetern gewarnt sein, Männer ab 102 Zentimetern. Einen Anhaltspunkt gibt auch der Body-Mass-Index (Gewicht durch Körpergröße zum Quadrat). Hier sollten Frauen idealerweise einen Wert zwischen 19 und 24 haben und Männer zwischen 20 und 25. Um präventiv Folgekrankheiten des Übergewichts zu bekämpfen, rät Jund zu mindestens dreimal 30 Minuten Ausdauersport pro Woche. Und vor allem zum Verzicht auf Zwischenmahlzeiten: Bei jedem noch so kleinen Snack schüttet die Bauchspeicheldrüse Insulin aus, damit aufgenommener Zucker in die Zellen gelangt. Das Problem: Ein hoher Insulinspiegel verhindert auch, dass der Körper Fettreserven abbaut. Erst nach drei bis fünf Stunden ohne Snack ist der Spiegel so tief gesunken, dass Energiereserven aus dem Fett freigegeben werden. So eine lange Zeitspanne ohne erreichen viele Deutsche nur im Schlaf.

Bei der Ernährung sollte man vor allem die Transfettsäuren meiden. Das sind pflanzliche Fette, die künstlich mit Wasserstoff angereichert wurden, um sie haltbarer zu machen – zu finden in Fastfood, Fritierfett, Chips und Kräckern, in geringem Maß auch in Margarine. Sie fördern Entzündungen und verschlechtern die Cholesterinwerte: Sie reduzieren das schützende HDL-Cholesterin im Blut und lassen das gefährliche LDL-Cholesterin ansteigen, das Fett von der Leber in die Körperzellen transportiert. Das steigert das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko.

FREIE RADIKALE

Jeder hat von ihnen gehört, viele fürchten sie – aber dass man sich vor ihnen schützen kann, ist kaum bekannt. Freie Radikale sind Moleküle, die bei Stoffwechselprozessen im Körper als „unvollständige“ Nebenprodukte anfallen; zumeist aggressive Sauerstoffmoleküle. Das heißt, sie haben wenigstens ein ungebundenes Elektron, deshalb docken sie an intakte Zellen an und verbinden sich. Gefährlich wird es, wenn sie in Blutgefäßen auf das gesundheitsgefährdende LDL-Cholesterin treffen: Das Cholesterin wird ranzig, Entzündungen und Gefäßverengungen sind die Folge.

Darüber hinaus können Freie Radikale das Erbgut schädigen, Krebs erregen und Alzheimer befördern Zum Glück gibt es Radikalfänger, die so genannten Antioxidantien. Sie binden sich an die Freien Radikalen und verhindern, diese an gesunde Zellen andocken können. Ein gesunder Mensch kann die sinnvolle Menge Antioxidantien mit der Nahrung aufnehmen: Zum Beispiel mit je 200 Gramm Gemüse und 200 Gramm Saisonobst. Zum Kochen sollte man Öle mit einem hohen Anteil an Vitamin E, etwa Sonnenblumenöl oder Olivenöl, benutzen. Auch Rotwein hat einen hohen Anteil an Antioxidantien. Ein Achtel bis Viertel Liter pro Tag gilt als förderlich.

LUNGE

Ein Viertel aller Krebserkrankungen in Deutschland ist auf Tabakkonsum zurückzuführen. Lungenkrebs wird sogar zu 80, Kehlkopf- und Speiseröhrenkrebs zu 60 Prozent durch Tabakkonsum ausgelöst. Die einzig wirksame Maßnahme ist, aufzuhören. Ein kleiner Trost: Die ersten präventiven Erfolge zeigen sich bereits nach wenigen Tagen – zum Beispiel sinkt das Risiko des plötzlichen Herztodes. Vor allem das Kohlenmonoxid im Körper wird schnell abgebaut. Der Stoff ist deshalb so schädlich, weil er sich leicht an rote Blutkörperchen heftet. Die können dann keinen Sauerstoff mehr in die Organe transportieren. Nach einem Jahr ist das Risiko für Erkrankungen an den Herzkranzgefäßen deutlich abgesunken, nach zwei Jahren ist das Herzinfarktrisiko bereits um 50 Prozent reduziert. Um auf das Niveau eines Nichtrauchers abzusinken, braucht es aber weitere 13 Jahre. Nach zehn Jahren ist die Lungenkrebsgefahr auf Nichtraucherniveau.

KNOCHEN

Bis zum 30. Lebensjahr nehmen die menschlichen Knochen an Masse und Belastbarkeit zu. Dann folgt ein schleichender Abbauprozess. Eine klassische Prävention ist die richtige Ernährung: Vor allem auf Vitamin D, Kalzium und Eiweiß kommt es an. Als Schutz vor der Knochenschwundkrankheit Osteoporose, an der im Laufe des Lebens etwa 30 Prozent der Frauen, ab dem 60. Lebensjahr auch verstärkt Männer erkranken, empfiehlt sich eine Tagesdosis von mindestens einem Gramm Kalzium. Das ist nicht schwer zu bekommen: Die Menge steckt etwa in 100 Gramm Emmentaler, in mancher Mineralwassersorte sind 0,4 Gramm pro Liter aufgelöst.

Gegen Arthrose, die Verschleißerkrankung der Gelenke, hilft vor allem regelmäßige Bewegung. Denn der Gelenkknorpel wird nicht über Blutgefäße mit Nährstoffen versorgt, sondern über Gelenkflüssigkeit. Und die kann nur durch Be- und Entlastung des Knorpels zirkulieren. Die meisten Arthrosen entstehen durch chronische Überlastung der Gelenke. Deshalb empfehlen sich Sportarten ohne Stoß- und Druckbelastungen, etwa Schwimmen oder Fahrradfahren. Eine gute Prävention ist auch die regelmäßige Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren. Das sind besonders elastische ungesättigte Fettsäuren, die Zellwände zwar verstärken, aber deren Durchlässigkeit erhalten. Empfohlen werden wöchentlich zwei Mahlzeiten mit je 150 bis 200 Gramm fettem Meeresfisch, Leinsamen sowie die Verwendung von Lein- und Rapsöl.

ZÄHNE

Mindestens drei Minuten und immer schön im Kreis... Dafür braucht es keinen Präventivexperten. Auch dass Zahnseide Grundausstattung und nicht Luxus ist, hat sich herumgesprochen – 40 Prozent der Zahnoberfläche sind mit der Bürste kaum zu erreichen. Dagegen vernachlässigen laut Jund manche Eltern die Zahnpflege ihrer Kleinkinder, weil Milchzähne sowieso irgendwann ausfallen. Tatsächlich sind diese aber für das nachfolgende Gebiss von Bedeutung: Gehen sie vorzeitig verloren, kann es später zu Fehlstellungen kommen. Eltern sollten schon den allerersten Zahn nach jeder Mahlzeit mit einem feuchten Wattestab reinigen, spätestens ab fünf Zähnen auf eine Baby-Zahnbürste umsteigen. Und ihrem Kind frühzeitig das Daumenlutschen abgewöhnen. Erwachsene sollten einmal wöchentlich Fluoridgel auftragen, der Wirkstoff versiegelt den Zahn. Außerdem können Fluoride aus dem Zahn herausgelöste Mineralien ersetzen und so beschädigte Zahnsubstanz wieder härten. Auch grüner Tee enthält Fluorid.

Rainer Jund, Markus Birk, Armin Heufelder: „Das 1 x 1 der Prävention“, Riva Verlag München, 326 Seiten, 24,90 Euro.

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