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Berlin: Alles Clärchen

Jahrzehntelang schwoften im Ballhaus in der Auguststraße in Mitte die Alten, dann wurde geschlossen. Jetzt gehört das Traditionslokal szenigen Bar-Betreibern. Zur Eröffnung kamen viele Stammgäste

„Det Schild is noch da!“, sagt entzückt die blonde Mittfünfzigerin, während sie mit ihren drei Freundinnen, in eine Parfümwolke gehüllt, auf dem kalten Hinterhof in der Auguststraße mit vielen anderen geduldig den Einlass in ihr Abend-Paradies erwartet. Auf dem Schild über dem Eingang walzt ein Paar übers Parkett, und darunter steht, was hinter der schweren Eingangstür auf das aufgebrezelte Damenquartett wartet: „Clärchens Ballhaus“.

Die meisten, die Freitagabend in Berlins ältestes Schwoflokal kamen, sind gespannt, was von ihrem Clärchen übrig geblieben ist. Im Januar musste das 1913 gegründete Etablissement in Mitte schließen, weil ein neuer Hauseigner dem Familienunternehmen den Mietvertrag gekündigt hatte. Überraschend schnell fanden sich zwei neue Pächter, Christian Schulz und David Regehr, die mit der Strandbar Mitte, dem Oststrand und dem Hackeschen Hoftheater Geld und Erfahrung gesammelt hatten. Wie würden sie mit Clärchen umgehen? Das Scheunenviertel mit einer weiteren hippen Mitte-Szene-Location beglücken oder Clärchens Jeist in Ehren bewahren? Schwieriger Spagat: Altes Publikum halten, neues hinzugewinnen.

Also, als wir endlich an der Garderobe an der Reihe sind, jubelt der Damenchor: „Mensch, Günthi, du ooch hier!“ Günther Schmidtke ist der Chef der Mäntel, seit 30 Jahren in dem Laden, jetzt gepflegte 70, äußerst jemütlich: „Ick hab hier nie Ärjer jehabt, vor allem nicht mit die Mädels“, sagt er, aber früher war manches besser, zum Beispiel, dass das Bier fünfzig Pfennige gekostet hat und der Doppelkorn 1,20. (Heute: 2,60/3,00). Aufmunternd warnt uns ein kleines Schild: „Trau keinem, der nicht trinkt!“, und „In Jeans-Kleidung keinen Zutritt!“. Drinnen ist kaum noch ein freier Platz. Wie gehabt stehen die Tische und die alten Holzstühle an den Wänden, von denen lange Silberfäden herabhängen und kaschieren, dass mit den Uralt-Girlanden auch die Zeichnungen mit Motiven à la Zille von den frisch gestrichenen Wänden verschwunden sind.

Das Publikum ist, was es immer war: vom Direktor bis zum Bauarbeiter, von der Managerin bis zur Verkäuferin. Zwischen 18 und 80. Die Leute vom Kiez freuen sich, dass man wieder zum Schwof gehen kann – wie Monika, die mit ihrer Freundin Edda ihren 62. Geburtstag feiert. „Die Kachelöfen stehen noch“, sagt sie, „schade um die Zille-Bilder“. Früher waren hier mehr Männer als Frauen, jetzt ist es umgekehrt. Sie möchte „einfach nur tanzen“, und wenn kein Kerl kommt, dann tut’s eben „meine Edda“. Leider haben die Chefs eine Band engagiert, die vor allem Krach macht, aber wenn dann endlich der Discjockey an die Reihe kommt und Elvis bei Clärchen gastiert – dann ist sie wieder da, diese alte, selige Mischung von Dorfkirmes, Disco und Seniorentanz.

Auguststraße 24, tägl. außer Mo., ab 12 Uhr, Fr und Sa Livemusik

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