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Berlin: Alles ging seinen sozialistischen Gang

Wie die SED erst Proteste gegen „Spur der Steine“ inszenierte und dann den Film aus den Kinos verbannte

Mancher Berlinale-Film hat ein Schicksal, wie geschaffen für ein neues Drehbuch. „Spur der Steine“ gehört dazu. Erst bejubelt, dann verfemt, aber nie vergessen: 1990 wurde der DEFA-Streifen auf der Berlinale als „Regalfilm“ gefeiert – nach 24 Jahren im Tresor des Dogmatismus einer DDR, die nun in den letzten Zügen lag. Erstmals war das West-Festival auch in drei Kinos im Ostteil der Stadt präsent, zudem hatte man sieben der dort einst verpönten Filme ins Forum-Programm gehoben. „Spur der Steine“ dagegen lief außer Konkurrenz. Für Regisseur Frank Beyer war der steinige Weg seines „Spur“-Films damit doch noch zum Ende gekommen. Auch mit der Berlinale-Kamera wurde Beyer ausgezeichnet, zwei Jahre später erhielt er das Filmband in Gold für sein Gesamtwerk. In dem spielt „Spur der Steine“ eine besondere Rolle. Warum? Wir erinnern uns . . .

Anfang Juli 1966 im Kino „International“. Ich bin glücklich, denn ich habe eine Eintrittskarte für „Spur der Steine“. Es wäre gelogen zu sagen, dass Defa-Gegenwartsfilme zu jener Zeit Massen in die Kinos lockten. Hier aber stellte sich alles etwas anders dar. Verdächtig laut hatte man vorher getrommelt, dass mit der Verfilmung des 200000 Mal verkauften Buchs von Erik Neutsch ein spannender Problemfilm gelungen sei. Riesig groß blickte Manfred Krug als Baubrigadier Hannes Balla unter seinem Zimmermannshut frech vom „Haus des Lehrers“ über den Alex. Bei einer Vorpremiere in Potsdam hatte es minutenlangen Beifall gegeben – doch in der Hauptstadt blies plötzlich mitten im Sommer ein kalter ideologischer Ostwind und zerstreute alle Hoffnungen auf eine liberalere Kulturpolitik.

„Geh da schnell rein, ehe der Film verboten wird“, sagten Kundige, bei der Premiere soll es „Proteste von Werktätigen“ gegeben haben. Eine seltsame Spannung breitete sich aus. Nach kurzer Zeit ist klar: Diese Komödie, flott inszeniert, hat Tempo, Witz und Verstand. Ein ehrlicher Film. Raubein-Brigadier Manfred Krug alias Balla (Ring im Ohr) contra Parteisekretär Werner Horrath, gespielt von Eberhard Esche. Dazwischen Kati Klee (Krystyna Stypulkowska, eine Entdeckung Andrzej Wajdas). Es geht um Liebes-, Moral- und Produktionsprobleme. Wunderbar komisch hatte Wolf Biermann den Inhalt für einen Vorspann ver-dichtet, der allerdings nicht verwendet werden durfte:

Sie sehen hier ein DEFA-Stück! / Bleiben Sie sitzen, Sie haben Glück! / Frank Beyer ist der Regisseur / Das Ding handelt vom Parteisekretär / und von Arbeitsmoral / und Schnaps im Lokal / und Liebe im Mai mit Tränen dabei / Parteidisziplin / mit nackend Ausziehn / mit Plandiskussion / und Höchstleistungslohn / Mit Lug und Betrug / Mit Manne Krug / Als Baubrigadier / kübelt er Bier / Ein Volkspolizist / fliegt in den Mist / Ein Bürokrat / schadet dem Staat / Ein Anarchist / wird Kommunist / ’ne schöne Frau / macht man zur Sau / Sie kriegt ein Kind / man kriegt davon Wind …

20 Minuten geht alles gut. Doch dann bellen die ersten Zwischenrufer ihren Parteiauftrag ins Kino: „Aufhören!“, ruft einer, ein anderer brummt: „Das ist nicht unsere Partei!“, „Den Regisseur müsste man einsperren!“ Frank Beyer, der auch in dieser Vorstellung, kurz nach der Premiere, anwesend ist, sitzt genau vor mir. Wut und Scham steigen in ihm hoch, der Hals rötet sich. Die Hände krallen sich in die Lehnen. Uns allen fällt es nicht leicht, ruhig und still zu bleiben. „Gehen Sie doch raus, wenn Ihnen das nicht gefällt“, ruft schließlich einer den Provokateuren zu. Beifall. Stille. Dann wieder: „Sehen so unsere Arbeiter aus?“ Das Licht geht an. „Weitermachen!“, fordert der Saal. Die Schreihälse schweigen, Disziplin der Gutwilligen besiegt Stumpfsinn. In Leipzig war alles noch schlimmer. In seiner Biografie „Wenn der Wind sich dreht“ zitiert Frank Beyer, was einer dem Manfred Krug zuruft, als der mit seiner Brigade aufmarschiert: „Geh endlich arbeiten, du Schwein!“ Und eine weibliche Stimme kreischte: „Unsere Bardeisekredäre schlafn nich mit fremdn Fraun!“

Frank Beyer ist tief getroffen. „Dass die Nazis Anfang der dreißiger Jahre den amerikanischen pazifistischen Film ,Im Westen nichts Neues‘ im Kino niedergeschrien hatten, wusste ich. Unfassbar war für mich, dass die SED, deren Mitglied ich war, eine solche gelenkte ,Provokation’ organisiert hatte.“ Die DDRPresse ist zum Schweigen verurteilt, nur das „Neue Deutschland“ druckt einen Verriss. Und die größte DDR-Illustrierte NBI wird von der SED für Jugendkrawalle verantwortlich gemacht, weil sie eine Foto-Doppelseite jener Szene gebracht hatte, in der die nackt(!) in einem Dorfteich badende Zimmermannsbrigade einen empörten Volkspolizisten kurzerhand ins Wasser beförderte.

„Die alten Gegner des Romans waren zu erbitterten Feinden des Films geworden“, sagt Frank Beyer. Sie setzten sich schließlich durch, das berüchtigte 11. Plenum des ZK der SED gab den Hardlinern Recht: Für sie wurde in dem Film „die Rolle der Partei und des Staates in gröbster Weise verunglimpft“. „Spur der Steine“ landete im Tresor – für fast ein Vierteljahrhundert. Und der Regisseur hatte für die nächsten Jahre praktisch Berufsverbot.

Heute mögen die Probleme einer sozialistischen Baustelle nur historisch sein – ein Kernsatz des Parteisekretärs aber hat dauerhafte Gültigkeit: „Man muss sagen, was man denkt, und tun, was man sagt.“

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