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Die Fassade des Karstadt-Warenhauses auf der Kreuzberger Seite des Hermannplatzes.

© Thilo Rückeis

Alles unter einem Dach in Berlin-Kreuzberg: Wieso mein Kaufhaus der beste Ort der Welt ist

Eine Liebeserklärung alleine ist nicht genug, um die Gefühle unseres Kolumnisten für sein Warenhaus auszudrücken. Deswegen legt er hier nach.

Was bisher geschah: Vor zwei Wochen freute ich mich so sehr darüber, dass mein Lieblingskaufhaus, das Karstadt am Hermannplatz zumindest eingeschränkt wieder geöffnet hat, dass ich an dieser Stelle des Tagesspiegels spontan eine Lobeshymne auf den sympathischen Konsumtreff aus der Nachbarschaft verfasste.

Beim Verfassen dieses Liebesbriefs merkte ich, dass meine in Worte gefasste Zuneigung so stark ist, dass ich mit nur einer Kolumne dem Thema nicht gerecht werden konnte und kündigte eine zweite Folge an. Und genau hier geht es also weiter! Treten wir also ein, in das Karstadt am Hermannplatz.

Es gibt einige bemerkenswerte Eckchen und Örtchen in diesem riesigen Gebäude, das auch heute noch imposant wirkt, obwohl es den Zweiten Weltkrieg wie ein schönes Selfie beendete: Ganz gut getroffen.

Die kleine Kneipe im Untergeschoss, zum Beispiel, ist so ein schön verschrobenes Örtchen. Zu jeder Tageszeit und natürlich niemals zur Nachtzeit (acht Uhr Ladenschluss) sitzen dort Menschen versammelt am Tresen und versorgen sich mit Frischgezapften oder Ähnlichem.

Die Kneipe ist in keiner Weise von dem Rest der Etage abgeschlossen. Es gibt keine Tür, keine Wände. Nur die Platzierung direkt unter den Rolltreppen versteckt sie ein klein wenig. Ich bin jedes mal aufs Neue fasziniert und frage mich, ob man sein Leben gar nicht mehr oder aber sehr gut unter Kontrolle hat, wenn man zum Trinken in eine ziemlich gut einsehbare Kaufhauskneipe geht.

Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.
Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

In unmittelbarer Nähe der Kneipe, für die ich persönlich den Namen „Zum gläsernen Trinker“ gewählt hätte, befindet sich ein „Subway“. Es ist die vielleicht traurigste Filiale der ohnehin nicht gerade glamourösen Fast-Food-Kette. Ich habe immer das Gefühl, sämtliche Menschen, die sich dort aufhalten, haben keine große Lust, dort zu sein. Vor allem also sämtliche Bedienstete und die sporadischen Gäste.

Vielleicht wäre „Subway, das wohin man nur in absoluter Not geht“ ein guter Slogan für diese Filiale. Er würde sowohl für Kunden als auch für die Personalanwerbung Sinn ergeben. Ganz im Gegensatz zu „Subway“ hingegen begeistert der bestens ausgestattete, fast imposante Supermarkt, der einen großen Teil des Untergeschoss einnimmt. Er ist fast schon das KaDeWe des kleinen Mannes. Ich gehe dort fast nie einkaufen, aber ich freue mich sehr, dass ich es könnte.

Schnäppchen, Häppchen und mehr: Ein Archivbild aus dem derzeit nur eingeschränkt geöffneten Karstadt am Hermannplatz.
Schnäppchen, Häppchen und mehr: Ein Archivbild aus dem derzeit nur eingeschränkt geöffneten Karstadt am Hermannplatz.

© Thilo Rückeis

Zwischen diesem Unter- und dem bequem mit dem Fahrstuhl erreichbaren Obergeschoss befinden sich die ganz normalen Etagen eines Kaufhauses dieser Dimension. Bücher, Parfüm, Schmuck, Mode für Damen, Herren und Kinder, Sport, Haushalt, Einrichtung, Kurzwaren… was man eben alles so brauchen, wenn die Amazon-Lieferung zu lange dauern würde.

Man trifft sich zum Frühstück, zum Kaffee - und vielleicht zum letzten Mal

Aber dann: Die legendäre oberste Etage. Hier gibt es gleich mehrere beeindruckende Einrichtungen. Zum einen natürlich das Restaurant. Klar, der Rentnertreff. Hier begegnen sich alle, die vor der Impfung Risikogruppe waren. Zum Frühstück, zum Mittag, zum Kaffee und vielleicht zum letzten Mal.

Ich mag die Stimmung dort sehr. Restaurationen, die vor allem von Senioren besucht werden, strahlen immer so eine behagliche Gemütlichkeit aus. Außerdem muss man keine Angst um das ausgebreitete Edel-Laptop haben, niemand im Raum kann damit schnell genug fortrennen.

Apropos Laptop: Im gesamten Stockwerk gibt es drei Stunden kostenloses Qualitäts-Wlan von der Deutschen Telekom. Perfekt zum Arbeiten. Vor allem im Sommer, wenn man sich mit einem Kaffee und einem Stück Donauwelle (Tagesangebot) auf die Aussichtsterrasse begibt. Ich kenne kaum einen besseren Blick über Neukölln.

Das KaDeWe des kleinen Mannes: Die Feinkost-Abteilung im Untergeschoss von Karstadt am Hermannplatz.
Das KaDeWe des kleinen Mannes: Die Feinkost-Abteilung im Untergeschoss von Karstadt am Hermannplatz.

© Thilo Rückeis

Aber auch im Winter lässt sich hier trefflich arbeiten. Sogar rauchend! „Rauchend“, fragen Sie? Im Jahr 2021? In einem Kaufhaus? Jep! Denn es existiert etwas versteckt ein ziemlich geräumiger Raucherraum. Er wird vor allem von drei Gruppen genutzt: Von nikotinsüchtigen Karstadt-Mitarbeiter, die hier hier Päuschen verbringen, von Neuköllnern mit Migrationshintergrund, die hier quatschen, und von mir, der eine hipsterfreie Zone bei kostenlosem Wlan genießt und Automaten-Kakao genießt.

Tritt man dann nach einiger Zeit im Raucherraum wieder leicht angemuffelt riechend vor die Tür, kann man mit etwas Glück eines der sporadischen Klavierkonzerte erleben, die dort stattfinden. Von der kleinen Kinderspielecke und dem Übergang zum Fitness-Center ganz zu schweigen. Auch Ausstellungen habe ich dort oben schon entdeckt.

Sie merken schon: Allein im Ober- und im Untergeschoss des Karstadt kann man eine Menge erleben. Und dazwischen steckt noch ein komplettes Kaufhaus! Es ist der beste Ort der Welt.

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Peter Wittkamp lebt mit Frau und Kind in Neukölln. Im Tagesspiegel beleuchtet er alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.

Peter Wittkamp

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