zum Hauptinhalt

Alltag in der Tierarztpraxis: Das fiepende Wartezimmer

365 Tage im Jahr im Dienst: In der Veterinärpraxis Sörensen in Lichterfelde arbeiten 15 Tierärzte. Sie impfen, kastrieren, nähen Wunden, machen Ultraschall oder horchen Mäuselungen ab. Vom Alltag in einer Tierarztpraxis.

Wie das so ist im Alter. Es kommt nur noch Neues obendrauf. Die Bauchspeicheldrüsenwerte – immer noch schlecht. Und nun auf dem Ultraschall auch noch ein weißer Fleck in der Blase.

Der Schallkopf fährt dem großen alten Kater über den Bauch, und auf dem Bildschirm wabert Helles neben Dunklem. Die Internistin erklärt: hier die Nieren, da die Leber. Das Ehepaar Birkholz, seit Jahren schon im Besitz des Tiers, ist im Behandlungsraum zugegen und hört zu. Da taucht der weiße Fleck wieder auf. Klar umrissen im schemenhaften Innenraum des Katers. Vielleicht Harnstein. Die Internistin will den Bauch drehen und schauen, was der Fleck macht. Schwupps, wird das Tier gedreht, und der Fleck, eben noch oben, liegt nun unten. Das ist ein Problem.

Der Kater, 16 Jahre alt und Micky mit Namen, hat während der Untersuchung den Kopf verdreht und gemeinsam mit den Menschen auf den Bildschirm geguckt. Er hat sich zuvor den Bauch rasieren lassen und die Kälte des Alkohols ertragen, mit dem er besprüht wurde. Jetzt drückt die Internistin ihm den Schallkopf erneut tief in den Bauch, dann piekst sie eine Spritze hinein, verfolgt am Schirm, wie die Blasenwand durchstochen wird. Sie zieht Harn auf, den eine Helferin ins Labor bringt. Bakterien- und ph-Wertmessung. Was ist in der Blase?

Das Ehepaar Birkholz packt den Kater in die Tragebox, geht mit ihm zurück ins Wartezimmer und wartet auf das Laborergebnis. Es wird kein gutes sein.

Die elektronische Akte des Katers hat gezeigt, dass seine Besitzer regelmäßig in die Tierarztpraxis in Lichterfelde kommen, die Bernhard Sörensen seit 1990 gehört. Es ist die größte Einzelpraxis der Stadt, 15 Tierärzte und ebenso viele Helfer behandeln hier 365 Tage im Jahr von neun bis 20 Uhr Haus- und Heimtiere. Die Tiermedizin habe sich enorm weiterentwickelt, sagt Sörensen. Die Berliner Tiere hätten Zugang zu besserer medizinischer Versorgung als zwei Drittel der Weltbevölkerung. Er schaut dabei, als wolle er sagen: So ist es halt.

An einem ganz gewöhnlichen Dezemberdonnerstag ist ein Yorkshireterrier, dem nach einer Tumoroperation die Fäden gezogen werden müssen, einer der ersten Patienten. Es folgen: ein Labrador mit Durchfall, ein Schäferhund zur Kastrationsnachsorge, ein Irish Setter mit Pilz im Ohr, eine Augenkrankheit bei der Fundkatze, eine Maus mit Atemgeräuschen.

Die Zentrifuge schleudert weiter den Harn von Kater Micky. Von dem Ergebnis wird Internistin Mareike Ottenjann die Therapie ableiten. Ist der ph-Wert hoch, könnte der Stein sich durch eine besondere Diät auflösen lassen.

Im großen Behandlungsraum geht immer wieder die Tür auf, auf zwei von drei Behandlungstischen sitzt immer irgendein Tier. Gehalten vom Besitzer und der Helferin. Die Tiere nehmen sich gegenseitig nicht zur Kenntnis. Die Hunde nicht die Katzen, die Katzen nicht die Mäuse, die Männchen nicht die Weibchen. Die Tiere seien viel zu aufgeregt, sagen die Ärzte. So kann auf dem einen Tisch der ein paar Wochen alte Wurf einer seidig-flauschigen Ragdollkatze geimpft werden, während der am Vortag von einem anderen Hund angefallene spanische Windhund auf dem Boden davor einen Verband um seine genähten Fleischwunden bekommt. Der Hund zittert und wankt, sein Besitzer sieht kaum stabiler aus. Der Schock über die Attacke sitzt tief.

Die Maus mit den Atemgeräuschen hat bereits nervös aufs Tischblech geköttelt, als Ellen von Czapiewski sie am Schwanz nimmt und sich ans Ohr hält. Vermutlich eine Infektion. Sie verschreibt ein Antibiotikum, bitte ausprobieren. Eine Katze mit Verdacht auf Blasenentzündung bekommt ebenfalls ein Antibiotikum. Die Arzthelferin tippt alles, was die Ärztin macht, in einen Computer, der am Ende auf Basis der Tierärztegebührenordnung die Rechnung für die Behandlung ausdruckt. Die meisten Kunden zahlen die Beträge zwischen 20 und 80 Euro direkt. Manchmal wird erst am Therapieende gezahlt, und manchmal läuft die Praxis ihrem Geld auch vergeblich nach.

Im Operationsraum am Ende der verschachtelten Praxisräumlichkeiten werden gegen Mittag zwei Frettchen kastriert. Nacheinander legt Operateur Thomas Lottermoser die Tiere in Narkose, greift zum OP-Besteck, bindet Gefäße ab, schneidet, vernäht. Zuvor hatte Lottermoser einer Katze eine Wucherung entfernt, die in ein Speziallabor geschickt wird. Er ist seit 20 Jahren in der Praxis und heute einer von wenigen Männern dort. Der Haustierarzt ist auf dem Weg zum reinen Frauenberuf – was die Frauen in der Praxis mit der schlechten Bezahlung erklären. Für Ellen von Czapiewski ist es trotzdem ihr Traumjob. An diesem Tag wächst ihr damit noch die Aufgabe zu, einem Meerschweinchen namens Tessy einen Maulspreizer in den Mund zu schieben. Einer der Backenzähne wächst in den Rachenraum und schlitzt die Zunge an. Das tut dem Schwein weh.

Das Ehepaar Birkholz ist zurück im Ultraschallraum. Das Laborergebnis liegt jetzt vor. Der ph-Wert ist leider hoch. Der Stein lässt sich also nicht über Diäten zerstören. Mareike Ottenjann empfiehlt die operative Entfernung. Das Ehepaar schluckt und fragt: OP-Dauer? Welche Narkose? Welche Risiken? Und ganz zuletzt erst, was das alles kosten wird. Um die 500 Euro. Teuer, ja, sagt die Frau schicksalsergeben. Aber so sei es halt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false