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Berlin: Als Berlin vorzeitig wählte

Ein Misstrauensvotum stürzte 2001 den Regierenden Eberhard Diepgen

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Es ist gar nicht so einfach, das Regierungsamt zu verlieren. Das gilt nicht nur für den Bundeskanzler, sondern auch für Ministerpräsidenten. Das Grundgesetz und die Landesverfassungen setzen – nach den Erfahrungen der Weimarer Republik – der Amtsenthebung von Regierungschefs und der Auflösung des Parlaments hohe Hürden entgegen. Als eine rot-rot-grüne Mehrheit im Sommer 2001 den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) stürzen wollte, wurde eine komplizierte, vier Monate dauernde Prozedur in Gang gesetzt

Anders als Gerhard Schröder hätte Diepgen gern weiter regiert. „Die Flucht aus der Verantwortung liegt mir nicht“, sagte der Christdemokrat damals. Doch am 16. Juni 2001 wählte ihn eine Mehrheit aus SPD, PDS und Grünen im Abgeordnetenhaus aus dem Amt. Und zwar auf Grundlage des Artikels 57 der Berliner Verfassung: „Das Abgeordnetenhaus kann dem Senat und jedem seiner Mitglieder das Vertrauen entziehen.“ Bei einem erfolgreichen Misstrauensvotum muss das betroffene Regierungsmitglied sofort zurücktreten und führt die Amtsgeschäfte weiter, bis ein Nachfolger da ist.

Gelingt es nicht, binnen 21 Tagen ein neues Senatsmitglied zu wählen, verliert das Misstrauensvotum seine Wirksamkeit. Auf diese Weise wird verhindert, dass ein Regierender Bürgermeister oder ein anderes Mitglied der Landesregierung sozusagen „auf ewig“ amtiert. Doch die linke Mehrheit in Berlin machte am 16. Juni kurzen Prozess. Nach der Abwahl Diepgens und der CDU-Senatoren Peter Kurth, Christoph Stölzl, Wolfgang Branoner und Eckhart Werthebach musste der alte Regierungschef nur kurzzeitig die Geschäfte führen. Das Parlament wählte in derselben Sitzung den SPD-Mann Klaus Wowereit zum neuen Regierenden Bürgermeister und anschließend die übrigen Senatsmitglieder.

Schwieriger wurde es dann, das Berliner Parlament aufzulösen. Dabei hört sich Artikel 54 der Landesverfassung so einfach an: „Das Abgeordnetenhaus kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder beschließen, die Wahlperiode vorzeitig zu beenden.“ In diesem Fall „findet die Neuwahl spätestens acht Wochen“ später statt. Aber die vom plötzlichen Machtverlust stark erschütterte CDU sperrte sich zunächst innerlich, diesen Weg zu gehen. Erst am 7. Juli, drei Wochen nach der Wahl des rot-grünen Minderheitssenats, konnten sich SPD, Grüne und PDS mit der Union darauf einigen, am 1. September das Abgeordnetenhaus aufzulösen und am 21. Oktober 2001 neu zu wählen.

Dieser relativ späte Termin wurde damals von der CDU diktiert, denn ohne sie wäre die Zweidrittelmehrheit im Parlament nicht zustande gekommen. Die Christdemokraten wollten Zeit gewinnen, im Interesse ihrer Wähler, die sich nach den Worten des CDU-Spitzenkandidaten „ihre eigene Meinung über den rot-grünen Chaos-Senat bilden“ sollten. Man sieht: Amtsenthebung und Neuwahlen sind nicht nur Verfassungs-, sondern in erster Linie hoch politische Fragen.

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