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Berlin: Als die Berliner ihren Bären von der Leine ließen

Vor 130 Jahren befreite der Magistrat das Wappentier der Stadt vom traditionellen Gängelband – ein Akt bürgerlicher Emanzipation

Im Jahre 1875 fasste der Magistrat der kaiserlichen Hauptstadt Berlin einen mutigen Entschluss. Der Wappenbär sollte künftig kein Halsband mehr tragen. Die Stadtväter ließen den Bären frei. Bereits im Mittelalter hatten die brandenburgischen Markgrafen dem Wappentier als Zeichen der Unterwerfung der Stadt unter das landesherrliche Regime eine Halsschlinge verordnet, gut erkennbar auf älteren Wappendarstellungen.

Mit der Reichseinigung hatte das Gängelband mit einem kleinen Ring zum Anketten ausgedient, auch wenn die zu kaiserlichen Würden gelangten Könige von Preußen immer noch herablassend von „unserer lieben Haupt- und Residenzstadt“ sprachen, wenn sie Berlin meinten. Der Magistrat hingegen hielt das Zeichen der landesherrlichen Oberherrschaft über der Haupt- und Residenzstadt Berlin nicht mehr für zeitgemäß. Im Wappen über dem Eingangsportal des Roten Rathauses geht der Bär jedoch bis heute am Gängelband, denn das Gebäude war vor der Abschaffung des Halsbandes im Jahr 1875 fertig gestellt worden.

Dass sich die Berliner im Mittelalter den Bären ins Wappen holten, könnte mit dem Namen der damaligen Doppelstadt Berlin-Cölln zu tun haben. Verschiedene Städte und Fürstentümer legten sich im Mittelalter solche „redenden Wappen“ zu. Gelehrte der Renaissancezeit stellten eine sprachliche Verbindung zwischen dem Namen Berlins und dem Bären her. So bezeichnete Philipp Melanchthon, Luthers engster Mitarbeiter, Berlin als „Bärenstadt“.

Das früheste Berliner Wappen besitzt allerdings noch keinen Bezug zum Stadtnamen. Dargestellt ist auf dem ältesten Siegel die übliche mittelalterliche Stadtburg und davor der brandenburgische Adlerschild als Zeichen fürstlicher Macht. Die Umschrift „Sigillum Berlin Burgensium“ lässt sich als „Siegel der Bürger von Berlin“ übersetzen. Ein Siegel von 1280 zeigt bereits zwei sich anblickende Bären mit erhobenen Tatzen. Die Umschrift spricht zum Betrachter und lautet übersetzt „Ich bin das Siegel der Bürger von Berlin“. Das Halsband taucht erst in einem Siegel von 1338 auf, zu einer Zeit, da sich in Berlin die Machtverhältnisse zugunsten der markgräflichen Landesherren verschoben hatten. Der Bär läuft auf vier Pfoten, über ihm schwebt ein Adlerschild, der durch eine Leine mit dem Halsband verbunden ist.

Die mit der Belehnung der Hohenzollern mit der Markgrafschaft Brandenburg und der Kurwürde im frühen 15. Jahrhundert verbundenen Kämpfe, vor allem die Niederlage der städtischen Bevölkerung bei Unruhen im Jahre 1448 im Zusammenhang mit dem Bau eines kurfürstlichen Schlosses, spiegeln sich auch auf Wappen wider. Nach dem Sieg der Hohenzollern schlug der brandenburgische Adler seine Krallen tief in das Bärenfell. Damit wurde demonstriert, wer Herr im Haus ist – und wer sich zu beugen hat.

Erst im frühen 18. Jahrhundert zog der Adler seine Krallen wieder ein, blieb aber präsent. Auf dem nunmehr dreigeteilten Stadtwappen erkennt man über dem aufrecht gehenden Bären mit Halsband sowohl den schwarzen preußischen als auch den roten brandenburgischen Adler. Über diesem Wappen schwebt in der Fassung von 1709 der mit dem Hermelinfell besetzte Kurhut. Die königlich-preußische Krone, die Kurfürst Friedrich III. seit 1701 trug, fehlt, da sich die Königsherrschaft noch nicht auf Kurbrandenburg, sondern auf das souveräne Herzogtum Preußen an der fernen Ostseeküste bezog.

Seit dem frühen 19. Jahrhundert schwebt die bürgerliche Mauerkrone über dem nun aufrecht stehenden Bären, der aber weiterhin ein Halsband trägt. Nach Auflösung des alten römisch-deutschen Kaiserreichs (1806) wird der Kurhut durch die Königskrone ersetzt.

Nach den heraldischen Veränderungen des Jahres 1875, die ein Zeichen gewachsener bürgerlicher Emanzipation waren, sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis das Berliner Stadtwappen seine endgültige Form mit stehendem Bären nicht mehr unter einer Königskrone, sondern unter der zinnenbewehrten Mauerkrone fand. Die verwendeten Farben – schwarzes Fell beziehungsweise rote Zunge auf silberweißem Untergrund – entsprechen den nach 1871 gültigen Reichsfarben schwarz, weiß und rot.

Als im Mai 1996 die Berliner und Brandenburger über eine Länderfusion abstimmten, stand auch ein Allianzwappen zur Diskussion, bestehend aus einem halben schwarzen Bären und einem halben roten Adler. Eine andere Version sah den Adler mit einem kleinen Bären auf der Brust vor. Nachdem die Bürger gegen die Länderehe gestimmt hatten, verschwanden die Entwürfe der Heraldiker für ein gemeinsames Wappen in der Schublade.

Helmut Caspar

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