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Berlin: Als die Erde bebte, kam Elif zu uns Jetzt wird das Mädchen abgeschoben

Achtjährige Halbwaise muss zurück in die Türkei – dabei hat sie in Berlin ein Zuhause

Elif Hergünöz war fünf Jahre alt, als sie im Sommer 1999 beim Erdbeben in der Türkei verschüttet wurde. Ihre Mutter wurde getötet. Sie fand ein neues Zuhause in Berlin – bei Onkel und Tante. Jetzt will die Ausländerbehörde das Kind abschieben. Der Anwalt kämpft gegen die Entscheidung.

Seit drei Jahren lebt Elif Hergünöz in Neukölln bei der Schwester ihrer Mutter und deren Mann. Die türkischen Behörden haben den beiden das Sorgerecht gegeben – Elifs Vater ist einverstanden. Er kann sich um seine Tochter nicht kümmern; er ist arbeitslos, krank und wohnt seit dem Beben in einer Notunterkunft. Die einzige andere Verwandte der heute Achtjährigen in der Türkei ist eine 83-jährige Großmutter.

„Die Entscheidung der Ausländerbehörde ist ein Skandal“, sagt Dietrich Wolf, der Elif als Anwalt vertritt. Die Behörde habe zwar rechtlich korrekt geurteilt, aber den Ermessensspielraum nicht berücksichtigt. Sie habe weder anerkannt, dass das Mädchen seine Mutter verloren hat, noch dass in der Türkei niemand für Elif sorgt und sie hier bestens aufgehoben ist. Ihren Pflegeeltern, den Yontars, geht es finanziell gut, Ilyas Yontar arbeitet seit 26 Jahren als Schlosser bei Daimler-Chrysler. Die 12-jährige Tochter der Yontars ist wie eine Schwester für Elif.

Am Donnerstag müssen Elif und ihre Tante bei der Ausländerbehörde das Ticket für den Rückflug vorzeigen. Jetzt hat der Anwalt eine erneute Duldung beantragt und eine Petition an Bundesinnenminister Otto Schily eingereicht.

„Mein Schrank hat mich gerettet“, sagt Elif und stützt ihr Kinn in die Hände. Der Schrank sei so auf die Bettkante gefallen, dass darunter eine Höhle entstanden sei. Wenn das Mädchen mit den schulterlangen Haaren in fließendem Deutsch von seiner Angst erzählt, und wie trotz Hilferufen so lange niemand kam, kommen Elif nicht die Tränen. Sie wirkt, als spreche sie über ein vor langer Zeit bestandenes Abenteuer.

Das mag daran liegen, dass Elif zwei Jahre lang Psychotherapie bekommen hat, die das Bezirksamt mit 16 000 Euro Erziehungshilfe unterstützte. Am Anfang sei sie sehr nervös gewesen und in Tränen ausgebrochen, wenn sie eine Baustelle sah, erzählt ihr Onkel, zu dem Elif „Papi“ sagt. Sie berichtet ihm stolz, dass sie heute im Englischunterricht alle Fragen richtig beantwortet hat. Das im Oktober 1999 in der Türkei ausgestellte Touristenvisum galt für eine Woche. Es wurde einmal verlängert und danach in eine Duldung umgewandelt. Die beantragte Aufenthaltsgenehmigung lehnte die Ausländerbehörde am 9. Januar 2000 ab und ordnete die Ausweisung des Kindes an. Seitdem kämpfen Anwälte darum, dass die Verwaltungsgerichte zu einem anderen Urteil kommen. Die aber haben nun entschieden, dass Elif das endgültige Urteil nicht hier in Deutschland abwarten darf, sondern sofort in die Türkei zurück muss – da man damit rechnet, dass das endgültige Urteil die Ausländerbehörde bestätigt.

„Um schnell zu helfen, war es nach dem Erdbeben üblich, die Leute mit Touristenvisa hierher zu holen“, sagt die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John. „Natürlich auch, weil man dachte, dass die Menschen nur kurzfristige Hilfe bräuchten.“ Die Entscheidung der Ausländerbehörde sei rechtlich richtig. Sie verstehe aber nicht, warum das Amt diesen Fall nicht „wohlwollend positiv“ geprüft habe. Es sei eine zu große Härte, wenn das Kind jetzt ein zweites Mal aus seiner Umgebung gerissen werde, in der es sich wohl fühlt.

Am Dienstag ist die Schwester von Elifs Mutter nach Istanbul gefahren, um das Kind zu adoptieren. Dann könnte Elif ohne weiteres hier bleiben. Ihr leiblicher Vater wäre sehr glücklich darüber. Bisher verhinderten türkische Gesetze die Adoption, da nur kinderlose Paare zur Adoption berechtigt waren. Das Gesetz wurde jedoch kürzlich reformiert.

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