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Berlin: Als Erinnerung bleiben eine Brücke und eine Straße

Langenscheidt-Verlag schließt Berliner Stammhaus und verabschiedet sich endgültig nach München

Ohne ihn hätte die Gegend kein Aushängeschild. Auf den Straßenschildern steht „Prof. Gustav Langenscheidt, Sprachlehrer, Verleger“. Auch die Brücke über die Bahngleise ist nach Langenscheidt benannt. Und in der benachbarten Crellestraße, auf dem gelben dreistöckigen Haus, steht ganz groß und in blauen Buchstaben: Langenscheidt. Das Haus kennt jeder, der mit der S-Bahn vorbeifährt. Fast 150 Jahre ist der weltberühmte Wörterbuchverlag in Schöneberg zu Hause. Hier wurde die Firma gegründet, der Seniorchef vor 83 Jahren geboren. Ende Dezember wird das Haus dichtgemacht.

Die 51 Beschäftigen in Druckerei und Buchbinderei fühlen sich „wie bei einer Beerdigung. Es ist alles sehr traurig“, sagt eine Mitarbeiterin. Rolf Müller in der Münchner Verlagsleitung spricht von einem „Kloß im Hals“, aber das Haus müsse geschlossen werden, der Wettbewerb für Druckerei und Buchbinderei hätte sich verschärft. Große Verluste, ein unpraktisches Gebäude, ein veralteter Maschinenpark: Das ginge nun nicht mehr. Langenscheidt wolle Aufträge an Berliner Firmen vergeben, damit Arbeitsplätze schaffen. Und hoffe, so möglichst viele Beschäftigte des Schöneberger Hauses unterzubringen.

Auch werde geprüft, wie groß die Umzugsbereitschaft sei. Die Zukunft des Stammhauses ist unklar. Das ursprüngliche Gebäude war 1944 bei einem Bombenangriff zerstört worden. Damals hieß die Straße noch Bahn-, nicht Crellestraße. Hier hatte sich Firmengründer Gustav Langenscheidt 1856 angesiedelt, als er keinen Verlag für seine „Selbstunterrichtsbriefe“ fand. Mit 18 Jahren war er zuvor durch Europa gereist, kam dabei auf die Idee, die Wörter so aufzumalen, wie man sie ausspricht. So entwickelte er die erste praktikable Lautschrift.

Sohn Carl, ein Werbegenie, erfand das große L als Markenzeichen, manövrierte das Unternehmen durch die Weltkriege und Wirtschaftskrisen. Der heute noch aktive Urenkel des Verlagsgründers, Karl Ernst Tielebier-Langenscheidt, wagte den Sprung vom Wörterbuch in die Bereiche Reiseführer und elektronische Medien. Längst gehören die Marken Duden, Meyers, Berlitz, Brockhaus, Polyglott zur Gruppe, Sohn Andreas Langenscheidt setzt nun besonders auf Expansion auf dem internationalen Markt.

Das Schöneberger Stammhaus verlor mit den Jahren an Gewicht. Der Seniorchef kam zwar hin und wieder zu Betriebsfesten, tanzte mit den Mitarbeiterinnen, aber die große Geschäftspolitik von Langenscheidt hatte sich schon in den sechziger Jahren Richtung München verabschiedet. Nach der Wende wurde das Auslieferungslager im thüringischen Gotha angesiedelt. Das Haus in Schöneberg wurde zu groß, etliche andere Gewerbemieter zogen ein. Mehr als 1400 Mitarbeiter weltweit, 250 Millionen Euro Umsatz – das ist die Erfolgsbilanz.

Der Abschied aus Schöneberg aber ist ein Verlust, der von Nachbarn bedauert wird. Langenscheidt gehörte in die Gegend. Uliane Borchert, Mitinhaberin einer Galerie mit Buchhandwerk in der Langenscheidtstraße, fühlte sich von der berühmten Firma angezogen. Nun bleiben, als Erinnerung, die Brücke und die Straße. Die gibt es in München nicht.

Christian van Lessen

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